Liebe Leserin, Lieber Leser,
vor ziemlich genau 18 Jahren sagte der damalige Linde-Chef Wolfgang Reitzle voraus, dass bis zum Jahr 2020 mindestens sechs Millionen Wasserstoff-Autos auf europäischen Straßen unterwegs sein würden. Dabei handele es sich um eine „konservative Schätzung“, ließ er damals bei einer Konferenz gegenüber Ingenieuren aus der Autobranche wissen. Heute wissen wir, dass Reitzle mit dieser Vision dezent danebenlag. Laut „Statista“ wurden 2020 in der EU stolze 758 Pkw mit Brennstoffzelle zugelassen. Zwar ist ein Wachstum zu beobachten, doch vom Millionenbereich könnte die Flotte kaum weiter entfernt sein.
Allerdings ist der ehemalige Linde-Chef längst nicht der einzige, der sich beim Wachstum von Wasserstoff verschätzt hat. Gerade in diesen Tagen macht sich viel Ernüchterung darüber breit, wie langsam es zuweilen vorangeht. Einen herben Rückschlag musste nun auch der Lkw-Hersteller Quantron vermelden, der erst im Jahr 2019 an den Start ging und damals noch als besonders aussichtsreich galt.
Droht Quantron der Untergang?
Die positive Stimmung kam nicht von Ungefähr. Schließlich konnte Quantron im Jahr 2022 einen Auftrag über 500 Lkw mit Brennstoffzellenantrieb aus den USA an Land ziehen. Das Volumen des Auftrags beläuft sich Medienberichten zufolge auf knapp eine Milliarde Euro. Die Finanzierung schien gesichert und der große Durchbruch nur eine Frage der Zeit zu sein. Doch nun meldete das Unternehmen beim Amtsgericht Augsburg eine vorläufige Insolvenz angemeldet.
Der Auftrag aus den USA liegt Unternehmensangaben auf Eis und sonst hat man nicht allzu viel vorzuweisen. Derweil berichten Mitarbeiter davon, seit drei oder vier Monaten kein Gehalt mehr bekommen zu haben. Es scheint kurz vor zwölf zu sein und nun wird händeringend nach einem Weg gesucht, eine vollumfängliche Insolvenz noch zu vermeiden. Dabei muss Quantron mit seinen rund 90 Mitarbeitern auch noch auf Gründer und CEO Andreas Haller verzichten, der sich gerade in einer Reha von einem Herzinfarkt erholt. Die Geschichte könnte glatt einem Drehbuch aus Hollywood entsprungen sein.
Plug Power enttäuscht erneut
Ob es für Quantron überhaupt noch eine Zukunft gibt oder nicht, das dürfte sich in den kommenden Tagen und Wochen entscheiden. Das Ganze steht aber schon fast sinnbildlich für die derzeitige Lage im Wasserstoffsegment. Es will einfach nicht vorangehen und einst großspurig angekündigte Projekte werden zurückgefahren, pausiert oder gleich vollständig gestrichen. Dies ließ sich auch bei Plug Power zuweilen beobachten. Bei dem Konzern liegt die Errichtung der größten Wasserstoffabrik der Welt momentan auf Eis, da Förderungen aus dem Inflation Reduction Act weniger üppig als erhofft ausfallen.
Neu Aufträge sind derweil viel zu oft dem Reich der Fantasie vorbehalten. In der vergangenen Woche etwa geisterte noch das Gerücht durch die Märkte, dass Plug Power kurz vor dem Abschluss eines Milliardendeals stehen könnte. Neuigkeiten gab es seither keine zu hören und den Aktionären geht die Geduld dezent flöten. Der Aktienkurs geriet immer weiter unter Druck und unterschritt am Donnerstag nun auch wieder die Linie bei 2 US-Dollar. Es ging um 2,5 Prozent bis auf 1,96 Dollar abwärts.
Plug Power Aktie Chart
Nel ASA: Vergebliche Liebesmüh?
Die Charttechnik sendet damit wieder einmal negative Signale aus und der Abwärtstrend scheint sich weiter zu zementieren. Ab und an gibt es zwar auch mal grüne Vorzeichen. Jene konnten nun aber schon seit einer kleinen Ewigkeit keine nachhaltige Trendwende herbeiführen. Dasselbe lässt sich bei der Aktie von Nel ASA beobachten. Jene konnte heute im frühen Handel um 3,1 Prozent bis auf 0,36 Euro zulegen, damit aber nicht im Geringsten Eindruck hinterlassen.
Das Papier bewegt sich in gewohnten Regionen, und die sind nach wie vor tief im Kurskeller zu verorten. Um über 40 Prozent ging es mit den Kursen auf Jahressicht in die Tiefe. Die letzten drei Jahre beförderten das Papier sogar um etwas mehr als 80 Prozent in Richtung Süden. Da gibt es wenig schönzureden. Es fehlt an Fortschritten, es fehlt an Aufträgen und die zuverlässig hohen Verluste in den Quartalszahlen treiben die Börsianer in die Flucht.
Kann PowerCell Sweden nachlegen?
Dass die Märkte dem Thema Wasserstoff nicht grundsätzlich abgeneigt sind und positive Entwicklungen auch belohnen, das stellte Ende September noch die Aktie von PowerCell Sweden unter Beweis. Neue Aufträge für den Brennstoffzellenspezialisten ließen die Kurse zeitweise in die Höhe schießen. Doch wäre es wünschenswert, wenn entsprechende Neuigkeiten in einer höheren Frequenz auftauchen würden. Getan hat sich seither nicht mehr viel. In der Folge korrigierte der Kurs auf Monatssicht um knapp zehn Prozent bis auf 3,77 Euro am Freitagmorgen. Damit notiert PowerCell Sweden weiterhin etwa doppelt so hoch wie zu den Tiefständen im Sommer. Doch der langfristige Abwärtstrend im Chart ist weiterhin nicht zu übersehen.
Unter dem Strich dominieren weiterhin die negativen Nachrichten im Wasserstoffsegment und die anstehenden US-Wahlen sorgen für zusätzliche Verunsicherung. Der Weg nach oben bleibt damit den meisten Wasserstoff-Aktien leider noch immer versperrt. Es bleibt ein gewaltiges Potenzial für Mensch, Wirtschaft und Umwelt. Doch scheint der Zeitpunkt, an dem dieses auch genutzt werden kann, nur immer weiter nach hinten verschoben zu werden. Wer dennoch den Mut gefunden hat, schon heute zu investieren, hat es derzeit wohl mit mehr Ungewissheiten als je zuvor zu tun und kann nur hoffen, dass sich Investitionen doch noch eines Tages auszahlen werden.
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