Liebe Leserin, Lieber Leser,
durch den Krieg in der Ukraine und daraus resultierende Sanktionen westlicher Nationen ist Gazprom schwer unter Druck geraten. In Moskau gibt man sich zwar immer wieder betont gelassen und verweist auf eine hohe Nachfrage aus Asien. Doch schon von Beginn an war klar, dass damit wegfallende Lieferungen nach Europa nicht ansatzweise ausgeglichen werden können. Die am Donnerstag vorgestellten Zahlen belegen dies nun recht eindrucksvoll.
Zum ersten Mal seit 1999 musste Gazprom einen Verlust verzeichnen, wie unter anderem bei der „FAZ“ zu lesen ist. Insgesamt belief sich das Minus auf 629 Milliarden Rubel, was umgerechnet etwa 6,4 Milliarden Euro entspricht. Analysten gingen im Vorfeld zwar bereits davon aus, dass die Gewinne sich weiter schmälern würden. Mit roten Zahlen rechneten aber die Wenigsten, schon gar nicht in diesem Ausmaß.
Gazprom: Europa ist nicht zu ersetzen
Den Medienberichten ist nicht genau zu entnehmen, worauf die hohen Verluste zurückzuführen sind. Experten sind sich aber weitgehend einig darüber, dass sich in erster Linie ausbleibende Exporte nach Europa bemerkbar machen. Im Jahr 2022 stellte Russland selbst die Lieferungen weitgehend ein und versuchte, die Gasversorgung als Druckmittel einzusetzen. Heute fließt russisches Gas nur noch vereinzelt in Richtung Westen und findet beispielsweise in Ungarn und Österreich Abnehmer. Die Alpenrepublik denkt aber bereits über Alternativen nach.
In den letzten beiden Jahren war Russland sehr bemüht darum, mehr Gas nach China und Indien zu exportieren. Dort ist man darauf aber nicht unbedingt angewiesen. Die Exportmengen haben sich zwar allem Anschein nach durchaus erhöht. Doch reichen sie nicht ansatzweise an das heran, was noch vor 2022 in Richtung Europa geflossen ist. Noch dazu werden deutlich geringere Preise für den fossilen Brennstoff gezahlt. Dass die Gaspreise in den letzten Monaten deutlich gesunken sind, macht Gazprom das Leben nicht einfacher. Festhalten lässt sich spätestens jetzt ohne Zweifel, dass es für die Europa-Geschäfte von Gazprom schlicht keinen Ersatz gibt.
Gazprom auf neuen Wegen
Richten sollen es bei Gazprom nun wohl Ausflüge in andere Sektoren. Am Wochenende machten Meldungen die Runde, laut denen Tochterunternehmen von Bosch und Ariston unter die Kontrolle des Versorgers gestellt wurden. Damit soll allem Anschein nach die noch im Aufbau befindliche Sparte für Haushaltsgeräte gestärkt werden. Doch selbst wenn damit Erfolge gefeiert werden können, wäre es im Vergleich zu den Gasgeschäften aus der Vergangenheit bestenfalls ein Tropfen auf dem heißen Stein. Eine echte Alternative und neue Wachstumsimpulse sind bei Gazprom derzeit nicht in Aussicht.
Gazprom Aktie Chart
Das macht sich beim Aktienkurs bemerkbar, der am Donnerstag um weitere 3,6 Prozent auf nur noch 157,75 Rubel in die Tiefe stürzte. Seit Kriegsausbruch hat der Wert des Papiers sich bereits mehr als halbiert, trotz einiger fragwürdiger Maßnahmen der russischen Regierung, mit denen für Unterstützung gesorgt werden sollte. Die Anleger können schlicht nicht übersehen, dass Gazprom sich in einem gefährlichen Abwärtsstrudel befindet. Weitere Verluste im laufenden Jahr sowie darüber hinaus sind kaum auszuschließen.
Ein Auslaufmodell?
Geht es um die Zukunft von Gazprom, lässt sich aktuell munter spekulieren. Doch selbst in einem recht unrealistischen Best-Case-Szenario ist eine Rückkehr zu alter Stärke nicht mehr vorstellbar. Selbst wenn der Krieg in der Ukraine auf magische Weise über Nacht enden sollte und Sanktionen fallen, wird Europa an russischem Gas kein allzu großes Interesse mehr haben. Längst haben sich hiesige Staaten neu aufgestellt und ein weiteres Mal werden sie sich nicht auf Russland als Zulieferer einlassen wollen, nachdem jener sich letzten Endes doch als unzuverlässig erweisen sollte.
Langfristig ist ohnehin der Abschied von fossilen Brennstoffen mehr oder minder gesetzt. Gazprom sitzt damit letztlich auf einem Auslaufmodell. Natürlich wird Erdgas noch viele Jahre, wahrscheinlich sogar Jahrzehnte bereitwillige Abnehmer finden. Doch eine Rückkehr zu vergangenen Tagen ist kaum denkbar und auch die Margen werden in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Sinkflug übergehen.
Gazprom: Verbrannte Erde
Nicht nur in der Ukraine hinterlässt Russland mit seinem völkerrechtswidrigen und brutalen Feldzug verbrannte Erde. Auch an der Börse wurde viel vernichtet. Die Gazprom-Aktie ist für hiesige Anleger vollkommen uninteressant geworden. Entsprechende ADR wurden bereits gekündigt und momentan ist noch fraglich, ob ein Umtausch in reguläre Aktien noch anstehen könnte. Im vergangenen Jahr gab es dafür zwar eine Frist, doch wie diversen Börsenforen zu entnehmen ist, warten viele Anleger noch heute vergebens auf einen tatsächlichen Umtausch.
Doch selbst wenn ein Handel möglich wäre, so bliebe die Gazprom-Aktie für Anleger vollkommen uninteressant, und das vollkommen unabhängig von ethisch-moralischen Überlegungen. Sämtliche Fundamentalindikatoren bei dem einst so großen Konzern deuten in die Tiefe, und das in einem rasanten Tempo. Die nun vorgelegten Zahlen bestätigen letztlich nur das, wovor viele Experten bereits 2022 warnten. Russland hat für seine revisionistischen Vorhaben Gazprom schlicht geopfert. Verschwinden wird der Konzern so schnell nicht, doch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird er auch nie wieder zu alter Größe zurückfinden.
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