ITM Power hat sich erst in jüngster Zeit vom Pennystock zum Liebling spekulativer Anleger gewandelt. Das britische Unternehmen setzt auf klimaneutrale Energieerzeugung und Energiespeicherung mit Wasserstoff. Es fertigt dafür sogenannte Elektrolyseure. Die Anlagen können Leitungswasser mit Strom aufspalten und so Wasserstoffgas erzeugen. Außerdem baut und betreibt ITM H2-Tankstellen.

ITM-Aktien-Investments zielen auf die fernere Zukunft. Der Wandel hin zu erneuerbarer Energie und dem steigenden Bedarf an Stromspeichern könnte das Elektrolyse-Wasserstoff-Geschäft beflügeln. Die Technik ist lange bekannt, war aber wirtschaftlich uninteressant. Bislang werden andere Verfahren, wie die Erdgas-Dampfreformierung genutzt, um Wasserstoff zu erzeugen.

Wasserstoff mit Ökostrom herstellen

Elektrolyse ist jedoch umweltfreundlicher, sofern sie mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen betrieben wird. Deshalb bietet sie sich an, um Strom-Überschüsse von Photovoltaikanlagen und Windgeneratoren zwischenzuspeichern. Das Konzept wird als Power-to-Gas (Strom zu Gas) bezeichnet. Auch die umweltfreundliche  Kraftstofferzeugung ist möglich, also Power-to-Fuel.

Bislang Verluste in Millionenhöhe

Doch der große Nachfrageboom und dessen profitable Befriedigung ist gerade im Fall von ITM Power noch Wunschdenken. Das Unternehmen schreibt Millionenverluste. Im Vergleich der Financial Informationen zu den Geschäftsjahren 2018 und 2020 hat sich das Auftragsvolumen für ITM Power um den Faktor 1,7 vergrößert. Die Verluste sind dagegen auf das Viereinhalbfache gestiegen.

ITM Power plc201820192020
Einnahmen:14,11 Mio. GBP17,56 Mio. GBP5,35 Mio. GBP
Verlust vor Steuern:6,48 Mio. GBP9,32 Mio. GBP29,52 Mio. GBP
Aufträge:30,64 Mio. GBP33,0 Mio. GBP52,4 Mio. GBP

Das Unternehmen hat in Sheffield im Jahr 2021 eine neue Produktion aufgebaut: Laut ITM handelt es sich um das größte Elektrolyseurwerk überhaupt. Die Kapazität soll ausreichen, um jährlich Wasserstoff-Produktionsanlagen mit einer Gesamtkapazität von einem Gigawatt herstellen zu können. Die Technologie wird für Energielösungen unterschiedlicher Anwendung angeboten.

ITM will Herstellungskosten senken

Die größeren Stückzahlen sollen es ermöglichen, die Herstellungskosten zu senken. Vor allem mit Kostensenkungen will ITM die Gewinnmargen erhöhen und profitabel werden. Und eine zweite Fabrik ist bereits in Planung, um für den erwarteten Wasserstoffboom gerüstet zu sein.

ITM bietet Wasserstoff-Produktionsanlagen in standardisierten Größen an. Die kleinste namens HGas1SP kann etwa elf Kilogramm Gas pro Stunde erzeugen. Der Elektrolyseur wird komplett installiert in einem Container geliefert. Ein zweiter Container beinhaltet die Stromversorgung. Beide müssen nur an Trinkwasser und Strom angeschlossen werden. Die Plug and Play-Module von ITM Power sind sofort betriebsbereit.

H2-Systeme für jeden Einsatzzweck

Nicht in Containern, sondern Gebäuden, werden die MW-Großanlagen installiert. Die Anlagen sind als agiles System angelegt und werden an unterschiedliche Anforderungen angepasst. Das Wasserstoffgas lässt sich zudem hinsichtlich Druck, Flussrate und Reinheit abstimmen.

ITM Elektrolyseur-Module

 HGas1SPHGas1SPHGas1SPHGasXMW
Leistung0,65MW1,26MW2MWVielfache von 2MW
H2-Produktion11kg/Stunde22kg/Stunde36kg/StundeX mal 36kg/Stunde

Megawatt-Anlage in Chemiepark Leuna

Im neuen Werk hat ITM Power unter anderem eine 24-Megawatt-Großanlage gefertigt. Der Elektrolyseur wurde für Linde produziert. Die Anlage soll im Chemiepark Leuna in Sachsen-Anhalt Wasserstoff produzieren. Laut ITM kann die Anlage genug Wasserstoff erzeugen, um sechshundert Wasserstoff-Busse für eine jährliche Kilometerleistung von 40 Millionen Kilometern zu versorgen.

ITM Power setzt bei seinen Wasserstoff-Produktionsanlagen auf die so genannte PEM-Elektrolyse, um Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufzuspalten. PEM-Technologie steht für Proton Exchange Membrane oder auch Polymer Electrolyte Membrane. Der Strom fließt im Wasser zwischen Kathode und Edelmetall-Anode. Die namengebende Membran lässt nur die Wasserstoff-Ionen durch, so dass diese sich an der Kathode zu H2 verbinden können.

H2-Tankstellen-Netz entsteht

Mit der ITM Motion setzt das Unternehmen auf einen weiteren Geschäftsbereich. Das Tochterunternehmen baut und betreibt eigene Wasserstofftankstellen in Großbritannien. Bislang existieren neun öffentliche H2-Tankstellen von ITM, bald sollen es 15 werden. Dabei wird Technik von ITM und des Gesellschafters Linde eingesetzt. Mit dem Mineralölkonzern Shell besteht seit 2015 eine Vereinbarung. Sie sieht vor, auf dem Gelände von Shell-Tankstellen die Technik für die H2-Betankung zu ergänzen.

Unternehmenssitz in Sheffield

Der Verwaltungssitz befindet sich in der 600.000-Einwohner-Stadt Sheffield. CEO ist seit dem Jahr 2009 Graham Cooley. Als CTO ist Simon Bourne afür die Produktentwicklung verantwortlich. Bourne hat Großprojekte betreut. So hat ITM Power im Jahr 2013 für die Thüga-Gruppe einen Power-to-Gas-Stromspeicher geliefert. Laut der Thüga und ihren kommunalen Energieversorgern war es die erste Anlage dieser Art auf Verteilnetzebene. Die Pilotanlage kostete Berichten zufolge rund 1,5 Millionen Euro.

Weiterhin EU-Mittel trotz Brexit

Mit Deutschland als wichtigem Markt sind die Briten über die Tochterfirma ITM Power GmbH besonders verbunden. Der  Firmensitz befindet sich im hessischen Hungen. Die deutsche GmbH möchte ITM auch dazu nutzen, weiterhin EU-Fördermittel zu beantragen. Die Mutter hat diese Möglichkeit aufgrund des EU-Austritts von Großbritannien verloren.

Gegründet vor zwei Jahrzehnten

Gegründet wurde ITM Power im Jahr 2001 in Sheffield. Dort im Zentrums Englands östlich von Manchester hat ITM seinen Sitz. Im Jahr 2006 ging die ITM Power an die Börse. Es folgte ein kurzzeitiger Anstieg auf in der Spitze fast fünf Euro je Anteil. Doch anschließend macht das Papier wenig Freude, die Kurse bröckelten.

ITM Power-Aktie als Pennystock

Ab 2008 wandelte sich die ITM Power-Aktie zum Pennystock und wurde lange Zeit für weniger als 0,50 Euro gehandelt. Erst gut zehn Jahre später rückte das Papier in den Fokus der Anleger. Ab 2019 ging es zunächst zaghaft, dann rasant aufwärts.

Vor allem der Einstieg des Industriegasspezialisten Linde als strategischer Investor im Herbst 2019 gab Auftrieb. Linde besitzt gut 17 Prozent der ITM-Aktien und ist Großkunde. Außerdem haben die Partner das Joint-Venture ITM Linde Electrolysis (ILE) in Dresden gegründet. ILM soll Lindes Knowhow und die ITM-Technologie für „grünes“ H2-Gas an Industriekunden vermarkten.

Kursrakete seit Ende 2020

Um den Jahreswechsel 2019/2020 sprang das ITM-Papier von unter einem Euro erst auf 1,50 Euro und dann auf fast zwei Euro. Zur Wasserstoff-Rakete wurde ITM Power Ende 2020, die zum folgenden Jahresanfang die acht Euro ansteuerte. Nun hat sich der Wasserstoffspezialist über fünf Euro je Aktie eingependelt. Das ergibt eine Milliardenbewertung, obwohl bislang Millionen-Verluste in den Büchern stehen.

Neue Märkte im Blick

ITM Power will schrittweise in weiteren Schlüsselmärkten Kunden für Power-to-Lösungen und Mobilität gewinnen. Insbesondere in Deutschland soll das Geschäft wachsen und nach Frankreich erweitert werden. Die Aktivitäten in Australien sollen neue Geschäfte in Neuseeland ermöglichen.

Konkurrenz setzt auf sauberen Wasserstoff

Exklusiv ist die Geschäftsidee von ITM Power nicht, zahlreiche weitere Unternehmen setzen ebenfalls auf den Boom der sauberen Wasserstoff-Erzeugung. Die Frage ist, wer ausreichend Investitionskapital und Partner vorweisen kann. Vor allem Großkonzerne können im Zweifelsfall das Geschäft sehr schnell an sich ziehen.

Siemens und Thyssen dabei

So haben Anfang 2021 Siemens Energy und der Industriegasspezialist Air Liquide eine Partnerschaft verkündet. Ziel ist eine Serienfertigung von Elektrolyseuren im großen Maßstab im Megawatt-Bereich. Auch das Schwergewicht Thyssenkrupp hat sich in Stellung gebracht. Seit einigen Jahren besteht eine Partnerschaft mit der italienischen De Nora. Mit einer anderen H2-Technologie, wird hier auf Industriekunden gezielt.

NEL aus Norwegen

Ganz vorn dabei ist in jedem Fall neben ITM Power auch NEL ASA. Das börsennotierte Unternehmen setzt auf die selbe Technologie zur Wasserstoffherstellung. Mittlerweile wird NEL von den Anlegern ebenfalls im Milliardenvolumen bewertet. Auf Wasserstoff setzt auch der Dieselmotorhersteller Cummins aus den USA und hat dafür Hydrogenics übernommen. Als starker Gesellschafter und Kunde ist ebenfalls der Industriegas-Spezialist Air Liquide dabei.

Zahlreiche Unternehmen bringen sich in Stellung, um im richtigen Moment am Wasserstoffboom verdienen zu können. Wieviel an Gewinnen möglich ist und wer wieviel vom Kuchen abbekommt bleibt vorerst Spekulation.

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