Liebe Leserin, Lieber Leser,
Wasserstoff ist dieser Tage ein sehr beliebtes Stammtischthema. Allerorten finden sich Meinungen zu dem alternativen Kraftstoff, welche das gesamte erdenkliche Spektrum abdecken. Zumindest meiner Wenigkeit sind zuletzt immer mehr negative Kommentare aufgefallen. Von einem „Irrweg“ ist da gerne mal die Rede und vollkommen ohne Argumente stehen die Zweifler tatsächlich nicht da. Gerade ein Blick auf die Aktienkurse zeichnet in vielen Fällen ein niederschmetterndes Bild. Auch ausbleibende Aufträge sind nicht unbedingt ein Indiz für durchschlagenden Erfolg.
Es gibt aber eben auch Signale, die eine ganz andere Sprache sprechen. Von solchen berichtete kürzlich das „Handelsblatt“ in einem Artikel rund um das französische Unternehmen Air Liquide. Darin wird darauf verwiesen, dass die Marktkapitalisierung des Linde-Konkurrenten mittlerweile auf knapp 100 Milliarden Euro angewachsen ist; im März konnte diese Marke sogar zeitweise übersprungen werden. Damit zählt Air Liquide zu den 25 wertvollsten Unternehmen in Europa.
Air Liquide mit großen Plänen
Das Handelsblatt führt dies zu nicht unwesentlichen Teilen auf die Geschäfte mit Wasserstoff zurück. Die stecken zwar auch bei Air Liquide gewissermaßen noch in den Kinderschuhen. Es wird aber unter Hochdruck daran, gearbeitet, genau das zu ändern. Im Norden Frankreichs entsteht dazu ein Elektrolyseur, der es auf eine Kapazität von 200 Megawatt bringen soll. Mit Atomstrom und Energie aus erneuerbaren Quellen soll laut Unternehmensangaben der größte Standort dieser Art weltweit entstehen.
Ab 2026 ist geplant, mit dem hergestellten Wasserstoff eine Raffinerie von TotalEnergies zu versorgen. Tatsächlich handelt es sich aber nur um einen Schritt von vielen, um bis zum Jahr 2035 die Umsätze mit Wasserstoff auf sechs Milliarden Euro anschwellen zu lassen. Zu diesem Zweck ist Air Liquide auch in den USA schwer aktiv. Das scheint dem Aktienkurs auf die Sprünge zu helfen. Auf Jahressicht konnte die Air Liquide-Aktie sich um fast 20 Prozent verbessern.
L'Air Liquide Aktie Chart
Nel ASA wieder unter Druck
Das ist durchaus ein Lichtblick für ein Segment, welches ansonsten an der Börse schwer unter Druck steht. Auch bei Nel ASA gab es am Dienstag ein kurzes Aufblitzen von Hoffnung zu sehen. Zeitweise konnte die schwer angeschlagene Aktie sich um über zwölf Prozent in die Höhe schrauben und die Marke bei 0,50 Euro im hohen Tempo überspringen. Da es für den Kurssprung keinen nachvollziehbaren Grund gab, lassen Korrekturen aber nicht lange auf sich warten.
Heute morgen geriet Nel ASA wieder sichtlich unter Druck und es ging um sechs Protzen bis zum Vormittag in die Tiefe. 0,51 Euro standen auf der Anzeigetafel, als dieser Newsletter sich gerade in der Entstehung befand. Immerhin verteidigen die Bullen damit bisher noch die (psychologisch) wichtige Marke bei 0,50 Euro. Doch die schnellen Gewinnmitnahmen zeigen auch, dass es um die Zuversicht weiterhin nicht allzu gut bestellt ist.
Keine Ausreden mehr
Um das Momentum nicht zu verlieren, wird Nel ASA bei den anstehenden Quartalszahlen mindestens keine Enttäuschungen, besser noch manche positive Überraschung vorweisen müssen. An den Märkten macht sich auch schon etwas die Vermutung breit, dass der kleine Kurssprung von gestern mit Erwartungen oder sogar Insider-Informationen zu den kommenden Zahlen zusammenhängen könnte. Belege für derartige Spekulationen finden sich allerdings nicht.
Denkbar ist es wohl, dass bei Nel ASA mittlerweile so ziemlich alle Horrorszenarien eingepreist sind und es somit nicht noch weiter bergab gehen kann. Mit einer solchen Erwartungshaltung haben sich aber schon viele Anleger an der Börse auf die Nase gelegt. Für eine Trendwende wird es mittelfristig nicht ausreichen, einfach nur nicht zu enttäuschen. Stattdessen sind handfeste neue Aufträge gefragt, und das bestenfalls in einer sehr viel höheren Frequenz als im vergangenen Jahr. Da diesbezüglich weiterhin Funkstille herrscht, ist die Nel ASA-Aktie weiterhin mit Vorsicht zu behandeln.
Plug Power und Ballard Power müssen ebenfalls kämpfen
Nur geringfügig anders gestaltet sich die Lage bei den nordamerikanischen Kollegen. Plug Power kämpfte heute Morgen weiterhin um die Linie bei 3 Euro und konnte diese an den hiesigen Handelsplätzen mit einem Plus von 1,3 Prozent eben so erreichen. Der Aktienkurs von Ballard Power erreichte mit etwas geringeren Aufschlägen exakt den gleichen Wert. Wie schon am Vortag weisen die beiden Titel beim Kurs und bei der Kursbewegung eine frappierende Ähnlichkeit auf.
Das ist umso mehr ein Anzeichen dafür, dass die Kurse aktuell von branchenweiten Entwicklungen gemacht werden, und die sind eben nur bedingt erfreulich. Wie gehabt sind es hauptsächlich die langfristigen Chancen und teils vage Hoffnungen, welche für den Sektor sprechen. Der Blick auf die Realität holt Anleger aber gerne auf den Boden der Tatsachen zurück. Vielleicht mangelt es manch einem auch schlicht an der nötigen Geduld.
Chance oder Risiko?
Wie eingangs bereits erwähnt können sich einige Unternehmen diesem Trend aber entziehen. Dazu gehört neben Air Liquide etwa Linde. Selbst das einstige Sorgenkind Siemens Energy kann im laufenden Jahr auf eine recht erfolgreiche Performance zurückblicken. Wie dies zu interpretieren ist, obliegt jedem Beobachter selbst. Optimisten sehen darin klare Anzeichen dafür, dass Wasserstoff schwer gefragt ist und gerade erst dabei ist, sein Potenzial zu entfalten. Andere mögen ins Feld führen, dass die genannten Konzerne schlicht auf andere Bereiche zurückgreifen können, durch welche die Bemühungen in Sachen Wasserstoff querfinanziert werden können.
Wieder andere sehen in dem Engagement der großen Konzerne eine Gefahr für vergleichsweise kleine Player wie Nel oder Plug Power. Denn wenn die Branchengiganten den Wasserstoffsektor abgesteckt haben, könnte es an der Notwendigkeit weiterer Anbieter schlicht fehlen. Spekulieren ließe sich aber selbst unter eine solchen Annahme über mögliche Übernahmen irgendwann in ferner Zukunft. Doch an dieser Stelle verlieren wir uns wieder in wolkige Spekulationen, bar jeder faktischen Grundlage. Solche werden die Kurse im Sektor wohl noch eine Weile beeinflussen und ob die Stimmung morgen gut oder schlecht ausfällt, das scheint jedes Mal aufs Neue eine Wundertüte zu sein.
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