Heidelberg Pharma ist ein innovatives biopharmazeutisches Unternehmen, das sich auf die Entwicklung neuartiger Krebstherapien spezialisiert hat. Im Fokus des Marktinteresses stehen dabei besonders die sogenannten ATACs (Antibody Targeted Amanitin Conjugates), eine vielversprechende Plattformtechnologie, die die präzise Abtötung von Tumorzellen ermöglicht. Das Unternehmen arbeitet daran, mit seiner einzigartigen Wirkstofftechnologie eine neue Ära in der Krebstherapie einzuläuten. Finanztrends hat mit Walter Miller, dem Finanzvorstand von Heidelberg Pharma, gesprochen über die jüngsten Entwicklungen im Unternehmen, die Herausforderungen in einem hochdynamischen Biotech-Markt und die strategischen Ziele für die kommenden Jahre.
Herr Miller, für Nicht-Mediziner ist es ja oft schwer einzuordnen, welche Potenziale in einer Pharma- oder Biotech-Firma schlummern. Sie als Heidelberg Pharma haben sich dem Kampf gegen den Krebs verschrieben und entwickeln dabei sogenannte Antikörper-Wirkstoff-Konjugate, kurz ADCs, als neue Therapien. Können Sie kurz erläutern, was das Besondere an diesem Ansatz ist und welches Marktumfeld finden Sie hier vor?
Walter Miller: ADCs sind Antikörper-Wirkstoff-Konjugate, die die Spezifität von Antikörpern mit der Wirksamkeit von Toxinen kombinieren, um Krebs zu bekämpfen. Ausgewählte Antikörper werden dabei mit verschiedenen Wirkstoffen beladen und transportieren sie in die erkrankten Zellen. Das Toxin kann dort seine Wirkung entfalten und die Krebszelle töten.
In dieser Kombination überwinden ADCs so die Schwächen, die die einzelnen Bestandteile haben: Antikörpern fehlt die direkte pharmakologische Wirkung und dem Toxin fehlt die Selektivität der Antikörper. Das Versprechen der ADCs besteht darin, die Vorteile beider Komponenten zu nutzen und ihre Einschränkungen zu überwinden.
Seit dem Beginn der 2000er Jahre haben sich ADCs als neue Klasse von Arzneimitteln etabliert. Wir beschäftigen uns seit Jahren intensiv mit dieser Technologie und haben nicht nur an verschiedenen Plattformen gearbeitet, sondern auch an sehr speziellen Toxinen und mehreren ADC-Kandidaten als gezielte und hochwirksame Krebstherapien.
Was können Antikörper bei der Krebsbehandlung leisten?
Sie selbst nutzen gleich mehrere ADC-Technologieplattformen. Ihre ATAC-Technologie gilt als innovativ im Bereich der ADCs. Welche Vorteile bietet Ihre Plattform gegenüber Wettbewerbern, und wie wollen Sie Ihre Marktposition weiter ausbauen?
Walter Miller: Wir verwenden als erstes Unternehmen den Wirkstoff Amanitin aus dem grünen Knollenblätterpilz für den Einsatz in der Krebstherapie. Der biologische Wirkmechanismus dieses Toxins stellt einen neuen therapeutischen Ansatz dar und wird als Wirkstoff in unserer auf Amanitin-basierenden ADC-Technologie, der sogenannten ATAC-Technologie, eingesetzt. Grundsätzlich greifen die Gifte des Knollenblätterpilzes, die Amatoxine, die Leber an.
Um diese Schädigung zu umgehen, ist es essenziell den Wirkstoff gezielt in die Krebszelle zu bringen. Dafür verwenden wir Antikörper, die vermehrt auf Krebszellen zu finden sind, an die wir den Wirkstoff koppeln. Der Antikörper sucht sich gezielt den Weg zur Krebszelle und dockt dort an. Das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat wird von der Tumorzelle aufgenommen und das Toxin im Zellinneren freigesetzt. Amanitin hemmt über seinen einzigartigen Wirkmechanismus den Wachstumsprozess der Zellen, was schließlich zum sogenannten programmierten Zelltod führt.
Die Wirkweise des Amanitins ist ein für die Krebstherapie neues Wirkprinzip und bietet die Chance, Therapieresistenzen zu durchbrechen und hat auch die Fähigkeit, ruhende Tumorzellen zu eliminieren, was zu erheblichen Fortschritten bei der Krebstherapie führen könnte – auch für Patienten, die auf keine andere Behandlung mehr ansprechen. Als wir unsere Amanitinforschung begonnen haben, konnte man unsere Wissenschaftler noch im Wald beim Pilze sammeln antreffen, mittlerweile stellen wir Amanitin in einem sehr ausgefeilten synthetischen Prozess im Labor her. Auf diesen Prozess halten wir gleich mehrere Patente.
Wo steht Heidelberg Pharma im Entwicklungsprozess?
Heidelberg Pharma hat mit HDP-101 eine vielversprechende Therapie in der Pipeline. Wie bewerten Sie die bisherigen klinischen Ergebnisse, und welche Herausforderungen sehen Sie auf dem Weg zur Marktzulassung?
Walter Miller: Unser erster klinischer Entwicklungskandidat HDP-101 basiert auf Amanitin und einem BCMA-Antikörper und wird zurzeit in einer Phase I/IIa-Studie in der Indikation des Multiplen Myeloms, einer bösartigen Erkrankung des Knochenmarks, getestet. Wir haben bisher 28 Patienten in unterschiedlichen Dosisstufen behandelt. Es ist sehr erfreulich, dass wir in der fünften Patientenkohorte erste Anzeichen für Wirksamkeit gesehen haben.
Bei mehreren Patienten beobachteten wir eine vielversprechende biologische Aktivität und eine objektive Verbesserung der Erkrankung. Bei einer scheinbar austherapierten Patientin mit neun vorherigen Krebstherapien und erneutem Tumorwachstum waren nach der Behandlung mit HDP-101 keine Tumorzellen im Knochenmark nachweisbar, wir sprechen hier von einer vollständigen Remission. Die Patientin verträgt die Behandlung sehr gut und fühlt sich wohl.
Noch sind das Einzelerfolge, über die wir uns sehr freuen. Wir müssen nun diesen positiven Trend in unseren klinischen Daten weiter ausbauen und mehr Patientendaten in steigenden Dosisstufen sammeln. Grundsätzlich haben wir wie jedes Biotech-Unternehmen Unwägbarkeiten im Entwicklungsprozess, die zum jeweiligen Zeitpunkt bewertet werden müssen. Klinische Entwicklung ist streng reguliert, zeit- und kapitalintensiv. Aber mit Bestätigung des Proof-of-Concept eröffnen sich größere Chancen auf eine erfolgreiche Entwicklung und spätere Marktzulassung.
Neben HDP-101 haben Sie mit HDP-102 und HDP-103 weitere Programme in der Pipeline. Welche Meilensteine erwarten Sie in den kommenden drei Jahren, und wie könnten diese den Unternehmenswert steigern?
Walter Miller: HDP-102 richtet sich gegen das Zielmolekül CD37, das auf B-Zell-Lymphomzellen exprimiert wird. Präklinische Studien zeigten In-vivo ausgezeichnete Anti-Tumor-Wirksamkeit sowie eine gute Verträglichkeit des Wirkstoffs. Wir planen den Start einer klinischen Studie mit HDP-102 in Non-Hodgkin-Lymphomen im ersten Quartal 2025.
Für HDP-103, ein ATAC, das zur Behandlung des metastasierten, kastrationsresistenten Prostatakarzinoms (mCRPC) entwickelt wird, haben präklinische Studien zur In-vitro- und In-vivo-Wirksamkeit, Verträglichkeit und Pharmakokinetik vielversprechende Daten gezeigt. Eine klinische Phase I-Studie zur Untersuchung der Verträglichkeit und Wirksamkeit befindet sich in Planung. Die Einreichung bei den Zulassungsbehörden ist für Ende 2025 vorgesehen.
Die Wertsteigerung unseres Unternehmens wird stark von der Qualität unserer klinischen Daten und der kommerziellen Verwertung abhängen. Unser Ziel ist die Nutzung unterschiedlicher Technologieplattformen, der Ausbau unserer klinischen Pipeline in unterschiedlichen Indikationen und attraktive Partnerschaften für die Entwicklung und Kommerzialisierung. Unsere Mission bleibt die Entwicklung von möglichst wirksamen und gleichzeitig nebenwirkungsarmen Therapien für Krebspatienten.
Heidelberg Pharma Aktie Chart
Wie ist die Marktpositionierung?
Der globale ADC-Markt wird bis 2030 auf 19 Milliarden Dollar geschätzt. Welche Rolle spielt Heidelberg Pharma in diesem Wachstumsmarkt?
Walter Miller: ADCs sind mittlerweile eine anerkannte medizinische Modalität. Unser Alleinstellungsmerkmal ist der von uns verwendete Wirkstoff. Wir haben eine umfangreiche Expertise im Bereich des Pilzgiftes Amanitin aufgebaut und patentrechtlich geschützt.
Neben den auf Amanitin-basierenden ADC-Technologien arbeiten wir noch mit weiteren Wirkstoffen, die andere Wirkmechanismen bedienen. Wir glauben, dass wir mit dem umfangreichen Wissen über ADCs und verschiedenen Wirkstoffen das Potenzial haben, ein Global Player in der Entwicklung von ADCs zu werden.
Ihre Technologie zielt darauf ab, neue Wirkmechanismen gegen Resistenzen bei Krebserkrankungen zu entwickeln. Wie nachhaltig ist diese Strategie angesichts der sich schnell wandelnden Anforderungen in der Onkologie?
Walter Miller: Sehr nachhaltig. Um es noch einmal deutlich zu sagen, wir entwickeln mit unserer ATAC-Technologie ADCs, die in ihrer Wirkweise einzigartig sind und eines der größten Probleme in der Krebstherapie adressieren: Ruhende Krebszellen und Krebsstammzellen werden nach erfolgreichen konventionellen Therapien oft wieder aktiv und der Krebs bricht wieder aus. Das Wirkprinzip unserer ATACs zielt auf die Hemmung der RNA-Polymerase II, ein Vorgang, der sowohl bei ruhenden und sich teilenden Zellen abläuft und bei Zellen zum programmierten Zelltod führt.
Ein Blick auf die Bilanz
In den ersten neun Monaten verbuchten Sie einen deutlichen Umsatzrückgang, nahezu eine Halbierung zum Vorjahr, was auch in einem deutlichen Verlust mündete. Können Sie unseren Lesern erklären, woher diese Volatilität kommt und wie Ihre weiteren Planungen für dieses Jahr und darüber hinaus aussehen?
Walter Miller: Die Umsätze und sonstigen Erträge der ersten neun Monate 2024 entwickelten sich grundsätzlich entsprechend unserer Planung. Die Umsätze lagen mit 5,2 Mio. Euro leicht unter dem Vorjahr (6,6 Mio. Euro). Allerdings lagen die sonstigen Erträge mit 2,4 Mio. Euro deutlich unter dem Niveau des Vorjahres von 7,3 Mio. Euro: Hintergrund war ein Einmaleffekt aus der Ende Juni 2023 veräußerten Minderheitsbeteiligung an dem Unternehmen Emergence Therapeutics AG in Höhe von 7,4 Mio. USD (6,8 Mio. Euro), der das Ergebnis positiv beeinflusste.
Wir gehen davon aus, dass auch in den nächsten Jahren die Aufwendungen, insbesondere aufgrund der Forschungs- und Entwicklungskosten, die Erträge übersteigen werden. Das ist durchaus üblich für ein Biotech-Unternehmen, das noch keine Produkte im Markt hat.
Mit einer gesicherten Finanzierung bis 2026 sind Sie vergleichsweise solide aufgestellt. Sehen Sie dennoch Bedarf für weitere Kapitalmaßnahmen, und wenn ja, in welcher Form.
Walter Miller: Ja, wir haben dieses Jahr eine sehr interessante Vereinbarung mit Healthcare Royalty abgeschlossen, die uns eine nicht rückzahlbare Vorabzahlung in Höhe von 25 Mio. USD brachte. Darüber hinaus haben wir Anspruch auf bis zu 90 Mio. USD aus dem Verkauf eines Teils der zukünftigen Lizenzgebühren aus dem weltweiten Verkauf des radiopharmazeutischen Diagnostikums TLX250-CDx, das zur Früherkennung von Nierenkrebs dient und sich zurzeit im Zulassungsverfahren befindet. Dadurch haben wir uns frühzeitig Finanzmittel zur Weiterentwicklung unserer ADC-Technologie gesichert.
Aber biotechnologische Forschung und Entwicklung ist kostenintensiv – von der präklinischen Entwicklung, dem Ausbau der Herstellungsprozesse bis zum Abschluss der klinischen Studien, die sich über mehrere Jahre erstrecken. Die Mittelzuflüsse aus Umsatzerlösen bzw. Lizenzzahlungen reichen deshalb derzeit noch nicht aus, um die notwendigen Investitionen und das Unternehmen nachhaltig zu finanzieren.
Um unseren Finanzierungsbedarf zu decken, prüfen wir kontinuierlich verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten. Eine dieser Möglichkeiten und Teil unserer Unternehmensstrategie ist der Abschluss weiterer Forschungsvereinbarungen mit Pharmapartnern bzw. die Auslizenzierung unserer ADC-Kandidaten.
Wichtige strategische Partnerschaften
Sie haben eine strategische Partnerschaft mit Huadong Medicine. Wie wichtig sind solche Kooperationen für Ihre zukünftige Entwicklung, und planen Sie weitere Partnerschaften in anderen Märkten?
Walter Miller: Strategische Partnerschaften wie mit Huadong Medicine, einem der führenden Pharmaunternehmen in China mit Schwerpunkt auf Onkologie und Immunologie, bieten für ein Unternehmen unserer Größe viele Vorteile.
Zum einen war das Investment von Huadong in unser Unternehmen eine wichtige Validierung unserer Technologie und unserer proprietären Projekte. Zum anderen ist die starke Entwicklungs- und Vermarktungsexpertise von Huadong und die Kenntnis der asiatischen Märkte eine unschätzbare Unterstützung für uns. Beide Faktoren könnten sowohl die Zeit bis zur Markteinführung unserer Kandidaten verkürzen als auch die kommerziellen Möglichkeiten für Entwicklungsprojekte in dieser wichtigen Region maximieren.
Ein wichtiger Teil unseres Geschäftsmodells ist der Abschluss von Partnerschaften mit Pharmaunternehmen, sei es im Bereich der Technologie oder im Bereich der Produkte. Wir sind offen für Gespräche und halten auch eine Anwendung unserer Plattformen außerhalb der Onkologie für möglich.
Herr Miller, wir bedanken uns für das Gespräch.