Aktuell existiert kein Reseller für professionelle Videotechnologie, der europäisch aufgestellt ist. Die Avemio Group ist mit ihrer Präsenz in zwei Ländern – Deutschland und Österreich – diesbezüglich bereits eine Ausnahme. Nun peilt Ralf P. Pfeffer, CEO der börsennotierten Avemio AG, die europäische Marktführerschaft an nach dem Vorbild des US-amerikanischen Marktführers B&H.
Das mit dem Börsengang verbundene Vorhaben, aus hundert Millionen Euro Jahresumsatz mittelfristig eine Milliarde Euro zu machen, basiert auf einer Targetliste mit mehr als einem Dutzend Unternehmen. Die jüngst übernommene LEA-Gruppe dient dabei als Finanzierungspartner mit einem weltweiten Investoren- und Finanzierer-Netzwerk. Wir haben mit CEO Ralf P. Pfeffer über die laufende Transformation zum Medientechnologiekonzern, einen „Rohdiamanten“ unter den Beteiligungen und die Lehren aus dem Reverse-IPO gesprochen.
Finanztrends: Für denjenigen, der die Avemio AG vielleicht noch nicht kennt: Womit verdienen Sie Ihr Geld und was ist Ihr Anspruch an die eigenen Geschäftsentwicklung?
Ralf P. Pfeffer: Die Avemio Group ist der marktführende Handelspartner für professionelle Film- und Fernsehtechnik im deutschsprachigen Markt. Wer immer Bewegtbild für kommerzielle Zwecke produziert, kennt unsere Handelsmarken. Wir sind der mit großem Abstand umsatzstärkste herstellerunabhängige Anbieter von Hard- und Software in diesem Bereich.
Wir sind bereits der größte Handelskonzern in der Europäischen Union und unser Anspruch ist es, die vakante Position des europäischen Marktführers zu besetzen. Aktuell existiert kein Reseller für professionelle Videotechnologie, der europäisch aufgestellt ist. Wir sind mit unserer Präsenz in zwei Ländern – Deutschland und Österreich – diesbezüglich bereits eine Ausnahme.
Die Benchmark für einen europäischen Marktführer orientiert sich an dem US-amerikanischen Marktführer (B&H, New York), der in einem ähnlich großen US-Markt wie der Europäischen Union mehr als sechs Milliarden Umsatz generiert.
Die Avemio befindet sich inmitten der Transformation vom Handelsunternehmen zum Medientechnologiekonzern. Ein passendes Role Model ist die Bechtle AG, die sich vom deutschen IT-Handelsunternehmen zum größten europäischen IT-Systemhaus gewandelt hat.
Finanztrends: Wie weit ist Ihre Transformation schon vorangeschritten?
Ralf P. Pfeffer: Mit dem Zusammenschluss der MoovIT-Gruppe aus Köln im vergangenen Jahr ist uns diesbezüglich ein großer Veränderungsschritt gelungen. Parallel zu dieser Akquisition haben wir Millionen in den Bereich IT/KI investiert. Ziel dabei war und ist es, unsere dominante Marktstellung zu nutzen, um insbesondere den technologischen Wandel, der sich mit der Einführung von Cloud-Technologien verbindet, anzuführen.
Finanztrends: Sportliche Großereignisse wie die Fußball-EM oder die Olympischen Spiele in diesem Sommer sind Highlights für Zuschauer, aber auch für Programmmacher wie Fernsehsender oder andere Broadcaster. Welche Bedeutung haben solche Großereignisse für ihr Geschäft?
Ralf P. Pfeffer: In Zusammenhang mit großen Sportveranstaltungen zeigen sich unsere Alleinstellungsmerkmale. Wenn man kurz nach dem Abpfiff eines Fußballspiels im Rahmen eines weltweit beachteten Turniers eine Zusammenfassung in den Nachrichten sehen oder in einer Mediathek abrufen möchte, dann basiert dies auf der Expertise von MoovIT, die für solche Veranstaltungen gebucht wird.
Die MoovIT konnte im April dieses Jahres den technologischen Vorsprung als Teil der Avemio Group erstmals als Cloud-Lösung auf der weltgrößten Fachmesse (NAB) in Las Vegas vorstellen und stieß dabei auf eine beachtliche positive Resonanz.
Finanztrends: Das zurückliegende Geschäftsjahr 2023 fiel aus Marktsicht – und sicher auch aus ihrer – enttäuschend aus. Ihr Konzernumsatz lag bei knapp 100 Mio. Euro mit einem deutlichen Rückgang bei EBIT und Reingewinn. Was waren die Hauptgründe dafür, dass die Ergebnisentwicklung mit einem ausgeglichenen EBITDA unter Ihrer ursprünglichen Prognose lagen?
Ralf P. Pfeffer: Die konjunkturelle Abkühlung führte insbesondere im zweiten Halbjahr 2023 zu einer deutlichen Schwächung der Nachfrage. Hiervon betroffen waren große Projekte sowie die ausbleibende Investitionsbereitschaft von Geschäftsmodellen im Bereich Social Media, die sich hauptsächlich aus Marketingbudgets finanzieren.
Hinzu kam der Streik der Autoren- und der Schauspielergewerkschaft in den USA, der mit einiger Verzögerung auch erhebliche Auswirkungen auf die europäische Produktionslandschaft hatte. Nachdem zum Ende des vergangenen Jahres Einigungen mit den Gewerkschaften erreicht wurden, laufen die Produktionen in den USA langsam wieder an. In Europa wird sich dies mit einer gewissen Latenz positiv bemerkbar machen.
Zudem hat sich unser Mut, frühzeitig in neue Technologien zu investieren, im abgelaufenen Geschäftsjahr noch nicht ausgezahlt. So sind die Anlaufverluste der gegründeten Start-ups größer ausgefallen als geplant. Dies ändert jedoch nichts an den spannenden Perspektiven in diesem innovativen Umfeld.
Finanztrends: Welche konkreten Maßnahmen haben Sie ergriffen oder planen Sie, um die Profitabilität zu steigern und die Umsatzentwicklung zu verbessern?
Ralf P. Pfeffer: Wir hatten vor der Krise unsere digitalen ERP-Systeme so weit angeglichen, dass es möglich war, zugekaufte Handelsunternehmen organisatorisch zu integrieren. Dies hat bereits zu erheblichen Kosteneinsparungen geführt, weil administrative Prozesse zusammengefasst werden konnten. Insoweit betrachten wir das Geschäftsjahr 2024 im Handel als Transformationsjahr, das noch mit Zusatzkosten der organisatorischen und gesellschaftsrechtlichen Reorganisation belastet sein wird.
Durch die Ausweitung zugekaufter Dienstleistungsbereiche, aber auch insbesondere durch die nunmehr anbietbaren Cloud-Dienste, verbessert sich perspektivisch unsere Rohmarge.
Meine Erfahrungen aus mehr als 30 Jahren als Unternehmer haben mich gelehrt, wie auf negative Veränderungen bzw. externe Effekte zu reagieren ist. Die Phasen, in denen nicht alles glatt läuft, haben uns zu dem gemacht, was wir heute sind: Marktführer.
Wir werden als Marktführer, wie in der Vergangenheit auch, aus dieser konjunkturellen Delle gestärkt hervorgehen und rechnen nicht nur mit einer deutlichen Beschleunigung der noch andauernden Konsolidierung des Handelsbereiches, sondern auch mit einem deutlichen Nachholeffekt bei höherpreisigen Investitionsgütern.
Finanztrends: Seit Jahren treten sie am Markt als aktiver Käufer von Wettbewerbern auf. Zuletzt haben Sie mit der Übernahme einer Corporate Finance Boutique überrascht. Wie kam es zu diesem Deal und welche Strategie steckt dahinter?
Ralf P. Pfeffer: Das mit dem Börsengang verbundene Vorhaben, aus hundert Millionen Euro Jahresumsatz mittelfristig eine Milliarde Euro zu machen, basiert auf einer Targetliste mit mehr als einem Dutzend Unternehmen, mit denen in jedem Fall zumindest bereits erste Gespräche geführt wurden. Jede dieser Übernahmen soll mit einem Mix aus Eigen- und Fremdkapital finanziert werden, wobei mit jedem Wachstumsschritt die Verwässerung möglichst geringgehalten bzw. der Fremdkapital-Leverage ausreichend stabil erfolgen soll.
Mit der LEA-Gruppe, die von Andreas Fischer gegründet wurde, haben wir nun einen Finanzierungspartner, der über ein weltweites Investoren- und Finanzierer-Netzwerk verfügt. Gleichzeitig kann die Avemio Group durch die Übernahme der LEA-Gruppe bereits zuvor entwickelte innovative Formen der Absatzfinanzierung umsetzen und damit weitere Erlösquellen erschließen.
Finanztrends: Welche Rolle soll Andreas Fischer künftig bei Avemio spielen? Was versprechen Sie sich von seiner Expertise und seinem Netzwerk?
Ralf P. Pfeffer: Wie sich aus den ambitionierten Wachstumszielen ablesen lässt, ist die Fremdfinanzierungsseite unserer Buy-and-build-Strategie eine strategisch wichtige Komponente. Die LEA-Gruppe war insoweit ein fehlendes Puzzleteil unserer Wachstumsstrategie. Andreas Fischer, der die LEA-Gruppe auch weiterhin als Geschäftsführer leiten wird, hat erkannt, dass er mit seiner Organisation, seinem Netzwerk und zuletzt durch seine Persönlichkeit zum Gelingen unserer Börsenstory einen wichtigen Beitrag leisten kann. Für mich ist er ein gewinnbringendes Asset für unsere Buy-and-Build-Strategie.
Finanztrends: Sie haben Ihre aktive Rolle bei der Branchenkonsolidierung angesprochen. Wie bewerten Sie die aktuellen Marktveränderungen und welche regionalen Märkte haben Sie besonders im Visier?
Ralf P. Pfeffer: Jede Krise offenbart Chancen, die es zu nutzen gilt. Wir wären heute nicht Marktführer ohne die erfolgten Marktveränderungen, die teilweise von Disruptionen begleitet waren.
Unser Fokus in Sachen Branchenkonsolidierung gilt Europa bzw. der Europäischen Union. Hier wird sich in den nächsten Jahren ein Marktführer herausschälen, den es heute so noch nicht gibt. Wir stehen in diesem Rennen in der Pole Position.
Finanztrends: Und außerhalb Europas?
Ralf P. Pfeffer: Akquisitionsgelegenheiten ergeben sich auch außerhalb Europas. Wir agieren bereits lieferantenseitig in einem globalen Markt und schauen uns auch sehr genau außereuropäische Märkte Targets an; vor allem wenn sie inhaltlich zu uns passen und synergetisches Potenzial haben.
Dabei gilt es genau hinzuschauen und nichts zu überhasten, vor allem aber stabile Investitionen zu tätigen, die auch dann funktionieren, wenn sich die Realität einmal mehr nicht an unsere Planungen hält.
Finanztrends: Durch die Akquisition der LEA-Gruppe erhöht sich das Konzerneigenkapital der Avemio Group um rund 8,0 Mio. Euro. Darin enthalten sind 5,0 Mio. Euro über eine weitere stille Beteiligung der Beteiligungsgesellschaft Hessen mbH (BMH), die der Avemio AG in Verbund mit der Transaktion zufließen. Wie kam es zu dieser stillen Beteiligung? Und welche Beziehungen pflegen Sie zum Land Hessen?
Ralf P. Pfeffer: Das Land Hessen ist bereits seit mehr als 20 Jahren über verschiedene Beteiligungsgesellschaften in unsere Unternehmensgruppe investiert. Es war für mich ein besonderer Vertrauensbeweis, als die BMH Ende November 2023 ihre Bereitschaft zu einer deutlichen Erhöhung der bestehenden Beteiligungen signalisierte. Die erteilte Investitionszusage wurde auch nach dem deutlichen Kursverfall der Avemio-Aktie und der zwischenzeitlich erfolgten Gewinnwarnung aufrechterhalten. Das lag nicht zuletzt daran, dass die BMH mit einem Sitz im Aufsichtsrat und den auf dieser Ebene geteilten Erkenntnisse stets ausreichend informiert war. Letztlich sahen auch die Updates der letzten Analystenstudien unsere Aktie deutlich unterbewertet.
Wir haben mit der Akquisition der LEA-Gruppe nicht nur das Eigenkapital des Konzerns gestärkt, sondern auch durch ein Vendor-Darlehen des Verkäufers die Liquidität verbessert. Diese Maßnahmen verstehen sich als Reaktion auf das konjunkturelle Umfeld. Das Management reagiert damit auch auf der Ebene der Unternehmensfinanzierung auf die Planabweichungen.
Finanztrends: Kommen wir zurück auf die aktuelle operative Geschäftsentwicklung. Wie zufrieden waren Sie mit dem ersten Halbjahr 2024 und mit welchen Erwartungen blicken Sie auf den weiteren Jahresverlauf? Sehen Sie bereits Anzeichen für eine Verbesserung gegenüber dem Vorjahr?
Ralf P. Pfeffer: Die aktuelle Geschäftsentwicklung ist nach wie vor von einer konjunkturell bedingten Kaufzurückhaltung auf Kundenseite geprägt. Wir verzeichnen auf der Handelsseite im bisherigen Jahresverlauf eine stabile, wenn auch zum Vorjahr geringere Nachfrage. Gegenüber dem jeweiligen Vorjahresquartal haben sich die Umsatzrückgänge im zweiten Quartal gegenüber dem ersten Quartal bereits verringert. Auch wenn sich derzeit die Vorboten einer Besserung ankündigen, bleiben wir vorsichtig. Zumindest finden sich schon wieder zwei potenzielle Großaufträge in der Angebotsphase, das gibt uns Zuversicht. Realistischerweise erwarten wir eine spürbare Verbesserung der Nachfrage frühestens im vierten Quartal.
Finanztrends: Welche Wachstumschancen sehen Sie in den verschiedenen geografischen Märkten, in denen Avemio tätig ist?
Ralf P. Pfeffer: Wie bereits geschildert, ergeben sich aus jeder Krise auch Chancen, die es zu nutzen gilt. Insbesondere kleine Handelsunternehmen in ganz Europa leiden – neben den konjunkturellen Rahmenbedingungen – unter ihrem meist schmalen und inflexiblen Produktportfolio. In den vergangenen Jahren ist es uns gelungen, alle wesentlichen Wettbewerber im deutschen und österreichischen Markt unter einem Konzerndach zu vereinen. Und es ergeben sich aktuell Gelegenheiten, den zugenommenen Konsolidierungsdruck für unsere Wachstumsstrategie zu nutzen.
Finanztrends: Wie steht es um Ihre Innovationspipeline? Können Sie uns einen Ausblick auf geplante Produkteinführungen oder technologische Entwicklungen geben?
Ralf P. Pfeffer: Neben der einzigartigen Cloud-Lösung der MoovIT kristallisiert sich aktuell ein Unternehmen aus unserem Start-up-Inkubator als Rohdiamant heraus. Die Obvious Future GmbH, an der wir einen Anteil von 51 Prozent halten, hat eine auf künstlicher Intelligenz basierende Bewegtbildsuchmaschine mit zwei angemeldeten Patenten entwickelt.
In diesem Bereich gibt es derzeit mit Twelve Labs weltweit einen einzigen Wettbewerber, deren Suchmaschine nicht ganz so weit entwickelt ist wie Cara.One, die Suchmaschine von Obvious Future. Twelve Labs, die zwischenzeitlich zu Nvidia gehören, hat bisher insgesamt 77 Millionen US-Dollar über Kapitalerhöhungen eingenommen. Zuletzt im Juli 2024 50 Mio. US-Dollar im Rahmen einer Series A-Finanzierung. Große Kunden aus dem amerikanischen Medienmarkt bestätigen uns, dass wir diesem Wettbewerber technologisch überlegen sind.
Finanztrends: Lassen Sie uns etwas weiter vorausblicken: Wo könnte die Avemio Gruppe in drei oder fünf Jahren stehen? Welche Vision haben Sie mittelfristig?
Ralf P. Pfeffer: Wenn es gelingt, den Kapitalmarkt davon zu überzeugen, dass wir in Europa das wiederholen, was wir bereits aus eigener Kraft im deutschsprachigen Bereich geschafft haben, dann sind wir in fünf Jahren unangefochtener europäischer Marktführer mit einer globalen Aufstellung. Und auch wenn wir dann bereits die Milliardenschwelle im Umsatz erreicht haben sollten, wäre die Wachstumsstory lange noch nicht zu Ende erzählt.
Finanztrends: Und noch eine Frage zum Aktienkurs: Dieser spiegelt weiterhin die große Enttäuschung nach den 2023er-Zahlen wider. Wie wollen sie das Vertrauen der Investoren wieder zurückgewinnen?
Ralf P. Pfeffer: Sie haben vollkommen Recht, unser Aktienkurs verfügt aktuell über ein deutliches Wachstumspotenzial – übrigens auch ganz ohne Zukäufe und ungeschliffene Rohdiamanten.
Als Newcomer am Aktienmarkt haben wir im ersten Jahr nicht alles richtig gemacht. Alle gemachten Fehler stehen in meiner Verantwortung. Wir haben uns im Rahmen des Reverse-IPOs mit einem selbstauferlegten Lock-up aller einbringenden Teltec-Altaktionäre und einem hieraus resultierenden gering kapitalisierten Titel für Spekulanten angreifbar gemacht. Glauben Sie mir, diese Lernkurve war ebenso steil für mich wie sie schmerzhaft war.
Mein unternehmerischer Erfolgt basiert weniger darauf, nie Fehler gemacht zu haben, als vielmehr darauf, gemachte Fehler nicht zu wiederholen und daraus zu lernen. Viele langjährigen Wegbegleiter, u. a. das Land Hessen mit der BMH, wissen, dass sie in mir keinen Schönwetter-Unternehmer haben, sondern jemanden, der auch unter schwierigen Bedingungen Lösungen sucht und findet – begleitet von einem motivierten Management-Team und einer großartigen Belegschaft.
Vertrauen stellt sich ein, wenn dem Gesagten Taten folgen und man nicht voreilig die Flinte ins Korn schmeißt, wenn es schwierig wird. Glaubwürdigkeit, Integrität und Authentizität helfen dabei.
Finanztrends: Herr Pfeffer, herzlichen Dank für das Gespräch.