Viele Top-Produkte aus dem biopharmazeutischen Bereich haben in den vergangenen Jahren bzw. verlieren in den kommenden Jahren ihren Patentschutz. Deshalb schlägt jetzt die Stunde der Biosimilar-Produzenten, die entsprechende Nachahmer-Medikamente entwickeln und zur Marktreife führen. Warum das nicht ganz so einfach ist wie im Generika-Segment, welche Marktchancen sich daraus aber dennoch ergeben, dazu haben wir uns exklusiv mit dem Vorstandsvorsitzenden des Biosimilar-Spezialisten Formycon, Dr. Stefan Glombitza, unterhalten. Wobei Formycon im Biosimilar-Geschäft bereits wichtige Meilensteine schaffen konnte.
Finanztrends: Biosimilars als Nachahmerprodukte von biopharmazeutischen Medikamenten gelten als einer der größten Wachstumsmärkte im Bereich medizinischer Therapien. Was zeichnet diese Produktgruppe z.B. gegenüber Generika aus, welche Vor- oder Nachteile gibt es?
Dr. Stefan Glombitza: Grob umrissen sind Biologika, um die es hier geht, in lebenden Zellen produzierte hochkomplexe Proteine. Der Einsatzvorteil für entsprechende Medikationen liegt vor allem darin, dass sie sehr zielgerichtet sind und das nachempfinden, was der Körper in seiner Immunabwehr als Antikörper produziert. Deshalb sind sie sehr wirksam und sicher und haben insbesondere bei schwerwiegenden Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten die Therapiemöglichkeiten revolutioniert.
Das schlägt sich auch inzwischen in den Markt- und Wachstumsgrößen nieder. Die Wachstumsraten in der Umsatzentwicklung der Biologika sind sehr stark und mittlerweile sind schon 40 Prozent der Arzneimittelausgaben in den Gesundheitsbudgets für Biologika und Biotherapeutika reserviert, sowohl in den USA als auch in Europa. Und wir reden da laut Prognosen alleine für US im Jahr 2027 von ungefähr 660 Milliarden Dollar. Was sich allerdings nicht in dem starken Ausgabenwachstum widerspiegelt, ist, dass Patienten bei weitem nicht zu demselben Anteil an diesen Therapien partizipieren.
Das liegt zu einem Großteil an den jeweiligen Preisen. Wenn Sie sich zum Beispiel das biopharmazeutische-Präparat Stelara gegen Schuppenflechte anschauen, da kostet eine Injektion in der höheren Dosierung ca. 20.000 Dollar in den Vereinigten Staaten, was nicht alle Krankenkassen mittragen wollen. Deshalb entwickeln wir derzeit auch ein Biosimilar für Stelara, das in den klinischen Studien gezeigt hat, dass wie beim Referenzprodukt nach drei, vier Injektionen die schwerbefallenen Hautareale zu 75 Prozent deutlich abheilen. Und das in Zukunft zu wesentlich geringeren Therapiekosten.
Letztlich gilt: Mit jeder Biosimilar-Einführung gibt es eine größere Anzahl von Patienten, die den Zugang zu diesen hochwirksamen Therapien erhalten und es werden gleichzeitig sogar noch die Gesundheitsbudgets entlastet. Wir sprechen dabei für 2027 von geschätzt etwas über 100 Milliarden Dollar, die durch Biosimilars jährlich weltweit eingespart werden . Das ist der Gesamtkontext, warum wir so hinter dieser Bewegung Biosimilars stehen. Biosimilars sind essenziell für die nachhaltige Gesundheitsversorgung und Zugang zu Spitzenmedizin.
Finanztrends: Stelara gegen Schuppenflechte haben Sie schon genannt. Welche anderen Therapiebereiche stehen bei Ihnen im Fokus?
Dr. Stefan Glombitza: Wir arbeiten zum Beispiel neben Therapien gegen Makuladegeneration, was die Hauptursache für Erblindung im Alter ist, auch an immunologischen Therapien gegen schwere Formen der Schuppenflechte, entzündlichen Magen-Darmerkrankungen wie Morbus Crohn sowie auch an Therapien gegen Krebserkrankungen. Das sind alles schwerwiegende Erkrankungen, die mit bereits vorhandenen Biologika sehr gut therapiert werden können. Der Nachteil ist, dass diese Präparate wie gesagt sehr teuer sind, was zur Unterversorgung mit diesen hoch-wirksamen Therapeutika führt.
Im Vergleich zu Generika, die 1 zu 1-Kopien der chemisch-synthetischen Referenz-Medikamente darstellen, sind Biosimilars, wie der Name schon sagt, nur sehr ähnlich gegenüber den Ursprungs-Biologika, weil diese sehr komplexen biotechnologisch hergestellten Moleküle bis zu 1000-fach größer sind, in lebenden Zellen hergestellt werden und damit nicht 1 zu 1 nachzubauen sind. Deshalb gibt es auch umfangreichere Anforderungen bei den klinischen Studien im Gegensatz zu Generika.
Mit sehr umfangreichen analytischen Prüfmethoden wird sichergestellt, dass eine sehr hohe Ähnlichkeit zwischen Biosimilar und Referenz erzielt wird, was dann eine vergleichbare Wirksamkeit, Sicherheit und Immunogenität in der klinischen Anwendung sicherstellt. Im Vergleich zu den Referenz-Biologika sind die Entwicklungszeiten und auch die Kosten bei Biosimilars wesentlich geringer.
Im Vergleich zu den Generika hingegen sind die Entwicklungskosten für Biosimilars mit 150-300 Millionen Euro deutlich höher und sorgen auch durch die wesentlich höheren technologischen Eintrittsbarrieren dafür, dass die Landschaft der Wettbewerber deutlich kleiner ist als bei den Generika.
Finanztrends: Wie stellt sich denn der Wettbewerb konkret dar?
Dr. Stefan Glombitza: Wie ich vorher schon erwähnt habe, kann man die Situation nicht mit der im Generika-Markt vergleichen. Bei Generika sieht man sich mit etwa der 10-fachen Zahl an Mitbewerbern konfrontiert. Bei Biosimilars ist es so, die größte Zahl der Mitbewerber gab es bisher beim Produkt Humira. Wegen der hohen Marktattraktivität haben über 20 Firmen an der Entwicklung eines Biosimilars gearbeitet. Insgesamt dürften es um die zehn verschiedenen Hersteller sein, die sich heute schon im Markt bzw. in Zulassung befinden. Adalimumab/Humira sehe ich jedoch als Sonderfall, der sich in dieser Form wahrscheinlich nicht wiederholen wird.
Ich glaube, durch die Komplexität, durch die hohen Investitionen und durch das sehr spezifische Know-how, das für eine erfolgreiche Entwicklung und Zulassung erforderlich ist, wird sich auch die Zahl von ernsthaften Mitbewerbern, die wir da weltweit zu erwarten haben, selbst bei künftigen Blockbustern in Grenzen halten. Wir sehen dies gerade beim umsatzstärksten Produkt Keytruda, bei dem wir derzeit deutlich unter 10 Biosimilar-Entwickler beobachten. Bei den Blockbustern Stelara und Eylea, wo wir entsprechende Biosimilars jetzt im Zulassungsverfahren haben, dürfte es so um die 6-7 Kompetitoren geben.
Finanztrends: Sie haben jetzt schon mehrere Produkte in der Pipeline. Eines davon ist bereits in der Vermarktung, zwei andere, wie eben schon erwähnt, sind in verschiedenen Zulassungsverfahren. Dennoch stellt sich die Frage, wie Sie sich weiterhin als eher kleine Firma im Wettbewerb mit den großen Konzernen positionieren können.
Dr. Stefan Glombitza: Von der Expertise und dem Know-how her haben wir über die Jahre sehr viel Erfahrung gesammelt und internationale Teams mit sehr vielen guten Wissenschaftler:innen aufgebaut. Viele unserer Mitarbeitenden bringen zudem sehr viel Erfahrung aus anderen Unternehmen in der Biosimilar-Branche mit. Man kann sagen, wir sind eine der wenigen Biosimilar-Firmen, die sich nur auf Biosimilars spezialisieren, was ein Vorteil ist. Also Pure Play-Fokus, nicht wie andere Player, die noch eine Generika-Sparte haben, Lohnherstellung betreiben oder zusätzlich innovative Arzneimittel entwickeln. Fokus ist sehr förderlich für Exzellenz.
Wir haben ja auch schon unser erstes Produkt in den Markt gebracht. Das heißt, wir haben gezeigt, dass wir den ganzen Prozess komplett erfolgreich durchlaufen können: von der Portfolioselektion zur Einführung. Und für den Vertrieb verpartnern wir mit großen, renommierten Kommerzialisierungspartnern. Das ist wichtig, um dafür zu sorgen, dass sich unsere Produkte in vielen Märkten erfolgreich entwickeln und die Therapien für deutlich mehr Patienten zugänglich sind. Dies ist in Lizenzverträgen mit Kommerzialisierungspartnern geregelt.
Finanztrends: Können Sie erläutern, welche Faktoren im ersten Quartal zu einem Umsatzrückgang auf 17,7 Mio. Euro und einem ausgeweiteten EBITDA-Verlust von 5,5 Mio. Euro führten? Zudem, welche Erwartungen und Maßnahmen stehen hinter Ihren Jahreszielen von 55-65 Mio. Euro Umsatz und einem negativen EBITDA von 15-25 Mio. Euro, und wann erwarten Sie nachhaltige Profitabilität?
Dr. Stefan Glombitza: Das Jahr 2024 wird ein sehr Wichtiges für uns, denn in diesem Jahr legen wir den Grundstein für die Performance der nächsten Jahre. Wir haben kürzlich die Zulassung für unser FYB203 in den USA erhalten und erwarten in diesem Jahr auch noch die Zulassungen in den USA und in Europa für unser FYB202 Stelara-Biosimilar. FYB206 ist in die klinische Phase eingetreten und unsere präklinischen Projekte FYB208 und FYB209 schreiten ebenfalls voran. Im Laufe dieses Halbjahres wird auch ein FYB210 zur Pipeline hinzukommen. Damit verfügen wir über insgesamt 7 Assets, wovon eines bereits erfolgreich im Markt ist. Dies zeigt eindrucksvoll, dass wir intensiv in unsere Pipeline investieren, um nachhaltig Werte zu generieren.
Unsere Umsatzerwartungen basieren auf drei Säulen: Zum einen natürlich aus Umsatzbeiträgen im Rahmen der Vermarktungserlöse von FYB201, das im Jahr 2024 in weiteren Ländern und Regionen gelauncht wird. Zum zweiten aus Einnahmen durch Entwicklungsleistungen für die in Partnerschaften entwickelten Projekte FYB201 und FYB203, die sich bereits in der Zulassungsphase befinden (oder teilweise schon zugelassen sind wie FYB203 von der FDA) und aufgrund des sehr fortgeschrittenen Projektstadiums geringer als in den Vorjahren ausfallen.
Zum dritten spielen die Umsätze aus den für 2024 erwarteten Erfolgszahlungen für FYB202 eine Rolle, die zum Teil bereits im Jahr 2023 realisiert und als abgegrenzte erwartete Erfolgszahlung ausgewiesen wurden. Diese schlagen sich daher nicht in voller Höhe im Jahr 2024 als Umsatz nieder, weshalb sich die Umsatzprognose unterhalb des Vorjahresniveaus bewegt. Unter der Annahme der erwarteten Zulassungen und Markteinführungen sowie potenzieller Auslizenzierungen von Biosimilar-Kandidaten streben wir mittelfristig ein positives EBITDA an.
Formycon Aktie Chart
Finanztrends: Anfang des Jahres hatten Sie auch angekündigt, dass der ungarische Pharmakonzern Gedeon Richter sich an Formycon beteiligt habe. Welche Chancen für die eigene Produktentwicklung bzw. für Ihre Wachstumsstrategie sehen Sie aus dieser Beteiligung?
Dr. Stefan Glombitza: Diese Partnerschaft ist Ausdruck und logische Konsequenz unserer vertrauensvollen, langjährigen Zusammenarbeit in der Fertigung. Die Bündelung der Kräfte mit entsprechendem komplementärem Know-how kann nur von Vorteil sein, zumal eine robuste Versorgung und eine kostengünstige Herstellung als Schlüsselkomponente der Biosimilar-Wertschöpfungskette immer wichtiger werden. Beide Unternehmen sind vom großen Potenzial von Biosimilars überzeugt und teilen die strategische Nähe.
Diese Transaktion eröffnet die Möglichkeit, in Zukunft gemeinsam langfristige strategische Chancen in den Bereichen Entwicklung, Fertigung und kommerzielle Wertströme zu nutzen. Gedeon Richter als Partner bedeutet, dass wir unsere Fähigkeiten perfekt ergänzen und unsere Kräfte bündeln, ohne die Flexibilität beider Parteien einzuschränken. Wir wollen ein treibender Motor der globalen Biosimilar-Bewegung werden und brauchen verschiedene starke Partner, um dies in einem breiten Produktportfolio zu erreichen.
Finanztrends: Ebenfalls vor kurzem hatten Sie angekündigt, dass Sie für das Biosimilar-Produkt FYB206 das klinische Programm gestartet haben. Dieses Biosimilar basiert auf dem Präparat Keytruda, das bei schwarzem Hautkrebs zum Einsatz kommt. Wie man Ihrer Firmenpräsentation entnehmen kann, ist Keytruda das Medikament aus ihrer Pipeline, das mit Abstand das größte aktuelle Marktpotenzial mit rund 25 Milliarden Dollar im letzten Jahr aufweist. Ein Erfolg und Zulassung dürften also enorm wichtig werden auch für die zukünftige Marktbewertung. Wie ist hier Ihr weiterer Fahrplan und wann hoffen Sie, Ihr eigenes Biosimilar an den Markt bringen zu können?
Dr. Stefan Glombitza: Die Transaktion mit ATHOS im Jahr 2022 hat unsere ursprüngliche Strategie, nämlich den sukzessiven Ausbau des Asset-Ownerships, deutlich beschleunigt, weshalb wir planen, die Pipeline-Kandidaten ab FYB206 entwicklungsseitig länger selbstständig auf der Wertschöpfungskette zu behalten und damit den Wert der Assets spürbar zu hebeln. Für FYB206 planen wir die Vermarktung über einen starken Kommerzialisierungspartner. Hier verspüren wir bereits reges Interesse und das ist auch nicht verwunderlich, denn schließlich sprechen wir von einem potenziellen Biosimilar zum umsatzstärksten Medikament der Welt! (Quelle: Medikamente – Top 10 Arzneimittel 2023 | Statista)
Finanztrends: Vor wenigen Tagen haben Sie die erwartete Zulassung durch die FDA für Ihr Biosimilar FYB203/ AHZANTIVE erhalten. Wie sieht hier nun der weitere Fahrplan aus und können Sie schon Aussagen treffen, welche Ergebnisbeiträge Sie bis Ende 2025 daraus erwarten?
Dr. Stefan Glombitza: Zunächst sind wir sehr stolz, dass ein weiteres von uns entwickeltes Biosimilar die Zulassung der amerikanischen Behörde erhalten hat. Es zeigt einmal mehr unsere Kompetenz, qualitativ hochwertige Biosimilars zu entwickeln und die anspruchsvollen regulatorischen Anforderungen der Behörden zu erfüllen. FYB203/AHZANTIVE®, unser Biosimilar zu Eylea, wurde von der FDA für die Behandlung von Patienten mit altersbedingter neovaskulärer (feuchter) Makuladegeneration (nAMD) und weiteren schwerwiegenden Augenerkrankungen zugelassen. Wir haben Ende 2023 auch einen Zulassungsantrag für FYB203 bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) eingereicht. Eine Entscheidung der EMA erwarten wir spätestens Anfang 2025.
Derzeit können wir noch keine Aussage zum potenziellen Marktstart oder entsprechende Ergebnisprognosen treffen, da laufende Verhandlungen mit dem Originator Regeneron noch nicht abgeschlossen sind. Sobald FYB203 jedoch vermarktet wird, partizipieren wir in Höhe von mittleren einstelligen bis niedrigen zweistelligen Prozentbereich in Form von Royalties an den durch unsere Partner erzielten Nettoumsatzerlösen.
Finanztrends: Zum Abschluss – Ein Biosimilar haben Sie in der Vermarktung, eins wurde durch die FDA zugelassen, weitere Zulassungen sind zu erwarten. Mit welchen weiteren Meilensteinen rechnen Sie auf absehbare Zeit.
Dr. Stefan Glombitza: Mit der Zulassung von FYB203 durch die FDA am 28. Juni 2024 haben wir bereits einen wichtigen Meilenstein erreicht. Gegen Ende Q3 bzw. Q4 erwarten wir die Entscheidungen der FDA und der EMA zu unserem FYB202 und zu Beginn des Jahres 2025 steht noch die EMA-Entscheidung zu FYB203 an. Es bleibt also ein spannendes Jahr. Was die Markteinführungen betrifft, so wird unser Partner Fresenius Kabi FYB202 spätestens Mitte April 2025 in den US-Markt einführen. Auch die Daten für EU und Kanada stehen schon fest. Hierüber wurde im Rahmen des Settlements mit dem Originator allerdings Stillschweigen vereinbart.
Finanztrends: Dr. Glombitza, vielen Dank für das Gespräch.