Auf dem deutschen Fahrschulmarkt stehen große Veränderungen an, die jeden der über 1 Mio. Fahrschüler jährlich in Zukunft betreffen werden. Dabei spielt ein wesentlich höherer Grad an Digitalisierung eine große Rolle. Was hier für die Fahrschulausbildung zu erwarten ist, besprechen wir mit Boris Polenske, Vorstand der Online-Fahrschule 123fahrschule. Er skizziert, welche technischen Neuerungen es geben wird und wie er und sein Unternehmen sich darauf vorbereiten.
Finanztrends: Digitale Geschäftsmodelle durchdringen immer mehr Wirtschaftszweige und auch das persönliche Leben. Dennoch würde man beim Thema Fahrschule auch nicht gleich darauf kommen, weil das doch sehr nach Old School klingt. Wie passt das nun zusammen?
Boris Polenske: Ja, in der Tat, Fahrschule in Deutschland ist sehr Old School. Wir haben eine stark überalterte Fahrlehrerschaft, einen sehr fragmentierten und veralteten Markt. Da greifen wir als 123fahrschule an. Denn wir digitalisieren die Geschäftsprozesse in den Fahrschulen und konsolidieren den Markt. Wobei es nun auch Unterstützung vom Gesetzgeber geben wird. Es stehen jetzt, getriggert durch Corona, im nächsten Jahr wesentliche Änderungen in der Gesetzgebung an. Sprich, der Führerschein wird in Deutschland digitaler und soll günstiger werden. Dabei geht es in Richtung Simulator, E-Learning usw.. Da sind wir als 123fahrschule an vorderster Front mit dabei.
Finanztrends: Vor welchen besonderen Herausforderungen steht denn der deutsche Fahrschulmarkt generell und wie können Sie das für sich nutzen?
Boris Polenske: Also die größte Herausforderung ist, dass rund 25 Prozent der Fahrlehrer über 65 Jahre sind und 33 Prozent zwischen 55 und 65. Davon werden also in näherer Zukunft viele in den Ruhestand gehen. Wir sehen jetzt schon, dass zum Beispiel LKW- und BUS-Fahrlehrer Mangelware sind. Busfahrlehrer sind so gut wie gar nicht mehr zu bekommen.
Und deshalb geht es Richtung Digitalisierung, eben den Mangel der Fahrlehrer durch eine verbesserte Ausbildung durch Simulatoren etc. zu bekämpfen und natürlich auch in Zukunft mehr Fahrlehrer auszubilden. Das ist für uns auch ein großer Geschäftszweig, eben zu schauen, dass die Branche auch wieder wächst.
Finanztrends: Wie skalierbar ist denn Ihr Geschäft vor allen Dingen auch vor dem Hintergrund, dass Sie auch als Softwareanbieter im Bereich E-Learning auftreten, Stichwort Software as a Service?
Boris Polenske: Wir entwickeln die Software momentan nur für uns selber, weil wir eben festgestellt haben, dass wir als große Fahrschule ganz andere Anforderungen an die IT, die Software und Prozesse haben, als das dies bei einem kleineren Unternehmen wäre. Die Herausforderung hier ist, dass der Markt sich eben jetzt auch stark verändert und konsolidiert und andere Fahrschulen auch diese Softwareprodukte eigentlich benötigen, weil wer wachsen will, kann nicht mit der Excel-Tabelle sein Unternehmen organisieren.
123fahrschule setzt auf Fahr-Simulatoren
Finanztrends: Vor kurzem sorgten Sie für einiges Aufsehen mit der Mitteilung, dass Sie die Foerst GmbH übernommen haben. Die Foerst GmbH ist ein Anbieter von Fahrsimulatoren. Wie passt diese Neuerwerbung in Ihr Geschäftskonzept und wo soll es da perspektivisch hingehen?
Boris Polenske: Wir haben uns die letzten Jahre sehr stark mit Verwaltungsthemen beschäftigt. Das heißt, wir haben geschaut, wie können wir Abrechnungen von Fahrschülern, Abrechnung von Fahrlehrern, Fahrstunden, Buchungen etc. möglichst weit digitalisieren. Dieser Prozess ist noch nicht ganz abgeschlossen. Da gibt es immer noch Verbesserungspotenzial. Aber wir denken, dass wir Ende dieses Jahres auf dieser Verwaltungsebene eine gewisse Qualität haben, die entsprechend uns erlaubt, wesentlich zu wachsen.
Was im Rahmen der gesetzlichen Änderungen fürs nächste Jahr ansteht, ist, dass der Ausbildungsprozess sich verändern wird. Er wird digitaler, es kommt E-Learning dazu. Dazu gehört in Zukunft auch Simulatoren, die in den gesamten Prozess vom Selbstlernen über den Theorieunterricht bis zur praktischen Fahrausbildung integriert werden sollen. Und deshalb denken wir, dass der Fahrsimulator für uns, aber auch für andere Fahrschulen, deutlich an Attraktivität gewinnen wird.
Sie sehen schon in anderen Ländern wie Frankreich, wo sehr viel Simulatoren eingesetzt werden, dass die Nachfrage nach Simulatoren wesentlich größer ist als in Deutschland. Wir gehen hier aber von einem ebenfalls wachsenden Markt aus, auf dem wir dann als Nutzer und Anbieter von Simulatoren auftreten können.
Neue Gesetze kommen
Finanztrends: Bleiben wir vielleicht gleich mal bei diesen avisierten Neuregelungen. Können Sie noch einmal kurz umreißen, was denn da auf die zukünftigen Fahrschüler bzw. die Fahrschulen zukommen könnte?
Boris Polenske: Also wie gesagt, es wird eine komplett neue Fahrschülerausbildungsordnung geben, die erst mal beim Theorieunterricht ansetzt. Wir werden große Teile des Theorieunterrichtes in ein synchrones E-Learning überführen. Wir werden aber auch die Notwendigkeit haben, dass der Schüler sich auf den Theorieunterricht vorbereitet, nämlich digital durch eigenes E-Learning. Wir bekommen eine Lernstandskontrolle und danach eben die Simulatorausbildung für die Schalterausbildung, die heute über 95 % Marktanteil hat und dann geht es in die Praxis. Das sind ganz große Veränderungen, die eben sehr stark in das Thema Digitalisierung gehen und die natürlich auch sehr gut softwaretechnisch abgebildet werden müssen.
Und da können wir eben auch unsere Größe ausspielen. Das wird für kleine Fahrschulen sehr schwierig werden, das entsprechend optimal abzubilden. Deshalb arbeiten wir jetzt gerade mit Hochdruck daran, dass wir sozusagen auch KI-gestützt in Zukunft ein optimales Lernprodukt anbieten können.
Finanztrends: Welchen Umfang könnte der Einsatz dieser Fahrsimulatoren haben? Wie viele Fahrschulen haben sie denn überhaupt in den Ausbildungszweige?
Boris Polenske: Der durchschnittliche Schüler braucht in Deutschland rund 35 Fahrstunden. Wir gehen davon aus, dass zehn, also ein gutes knappes Drittel davon im Simulator stattfinden werden. Wir können den Simulator aber auch nutzen, um zum Beispiel gewisse kritische Situationen wie Wildwechsel, Überholen, Glatteis entsprechend zu trainieren, was heute nicht möglich ist. Das nennt man besondere Verkehrssituationen und Erkennung von Gefahrenwahrnehmung. Da sind auch andere Länder schon deutlich weiter. Es wurde auch schon mal darüber diskutiert, sogar Teile der Prüfung in den Simulator zu machen, um eben in solchen Gefahrsituationen entsprechend dann trainieren zu können.
Da ist die Politik in Deutschland noch nicht ganz so weit. Aber wir glauben, dass über die nächsten Jahre hinweg auch mit weiterem Entwicklungsaufwand, den wir treiben werden, der Simulator einfach noch verbessert werden wird. Wir haben da auch in den letzten Jahren deutliche Qualitätssprünge gesehen. Wir launchen gerade eine neue Softwareversion bei unserem Simulator, der die Bildqualität noch mal deutlich verbessert. Also da geht schon einiges. Wir glauben, dass wir perspektivisch nach vorne heraus die gesamte Ausbildung stark digitalisiert bekommen, sodass auch insgesamt, wenn man mal von Zahlen redet, der Anteil der Personalkosten in unserer G&V perspektivisch entsprechend sinken dürfte.
Finanztrends: Das klingt ja jetzt schon sehr stark danach, dass Sie sich vor allen Dingen auch durch Technologie abgrenzen können vom Wettbewerb. Wie sehen Sie das perspektivisch? Können Sie da in der Hinsicht sozusagen Ihr Geschäftsmodell weiter im Markt absichern und wie sieht es mit der Konkurrenz generell aus?
Wo 123fahrschule wachsen will
Boris Polenske: Hinsichtlich unserer Wachstumsstrategie gehen wir davon aus, was sich auch schon in den Zahlen widerspiegelt, dass wir eher in den größeren Städten erfolgreich sind, also Städte über 150.000 Einwohner. Gerade in Großstädten wie Berlin und Hamburg spielen wir optimal unsere Größe aus, auch im Online-Marketing mit wenig Streuverlusten.
Wir werden aber sicherlich unsere Plattform auch öffnen für andere Fahrschulen. Das heißt, wir überlegen sehr genau momentan, wie können wir Simulatoren auch anderen Fahrschulen zur Verfügung stellen? Wir planen gerade in Köln ein erstes Simulator-Center unter anderem Markennamen. Wir haben als Zweitmarke FahrerWerk und im Center können sich mehrere Fahrschulen auf unsere Software, auf unsere Angebote draufschalten und wir können dort auch Services für den Markt anbieten.
Allerdings müssen wir noch schauen, ob das funktioniert. Das ist ein Proof of Concept, den wir machen müssen. Aber der Markt ist immerhin gut drei Milliarden Euro groß und wir haben derzeit noch keine 1 % Marktanteil. Wir sehen das ein bisschen wie Amazon Marketplace. Auf der einen Seite betreiben wir selber, auf der anderen Seite bieten wir aber auch Plattformen an und sind Marktplatz. Da wollen wir auf jeden Fall nächstes Jahr hin.
Finanztrends: Im letzten Jahr haben Sie noch operative Verluste geschrieben. Wie sieht es denn in diesem Jahr aus und wann peilen Sie denn die Profitabilität sowohl operativ als auch netto an?
Boris Polenske: Ich habe immer gesagt, dieses Jahr müssen wir Cashflow positiv sein. Das heißt, wir müssen schauen, dass alle unsere operativen Einheiten ausreichend Gewinn abwerfen, um sowas wie Börsenlisting-Kosten, Softwareentwicklungen und andere Investitionen in die Zukunft abzudecken. Daran halte ich für dieses Jahr auch fest. Wir haben auch die Prognose abgegeben, dass wir sowohl EBITDA als auch Cashflow positiv sein werden. Davon rücke ich momentan nicht ab. Ganz im Gegenteil, das sieht bislang gut aus.
Wir müssen natürlich dennoch ein Stückchen schauen. Neue Filialen kosten Geld. Wir wollen zum Beispiel gerade in Berlin eher neue Filialen eröffnen als entsprechende Übernahmen zu tätigen, weil das in bestehenden Märkten für uns deutlich günstiger ist. Da müssen wir jetzt mal sehen, wie wir das weitere Wachstum finanziert bekommen. Weil eins muss uns allen klar sein, wenn so eine Gesetzesänderung ansteht, wird es sicherlich auch noch den einen oder anderen Wettbewerber geben, der sich vielleicht auch da versucht zu positionieren.
Finanztrends: Stichwort Finanzierung. Sie hatten vor kurzem eine Kapitalerhöhung durchgeführt, für rund 460.000 Euro. Das war auch nicht die erste Kapitalerhöhung. Nun werden im Markt Kapitalerhöhungen immer mal wieder relativ kritisch gesehen, wenn es zu möglichen Verwässerungen von Altaktionären kommen kann. Wie ist denn generell Ihr zukünftiges Finanzierungsmodell, auch mit Blick auf den Cashflow?
Boris Polenske: Der operative Cashflow wird sicherlich nicht groß genug sein, das kann ich ganz klar sagen, um letztendlich eine aggressive weitere Expansion voranzutreiben. Wenn ich jetzt in Berlin zehn Standorte eröffnen will, in Hamburg noch wachsen will und auch in Städten wie Köln, dann werde ich das aus dem operativen Cashflow definitiv nicht hinbekommen. Das muss ich jetzt hier an der Stelle ganz offen sagen. Letztendlich sind wir schon ein Titel, der jetzt eine gewisse Stabilität hat auf der Finanzseite. Wir müssen nicht wachsen. Wir können wachsen. Das ist für uns schon mal eine deutliche Verbesserung der Situation. Aber wir müssen natürlich dennoch eine gewisse Größe erreichen, um den ganzen Overhead in der Software-Entwicklung und die Investitionen in die Zukunft auch finanzieren zu können.
123fahrschule Aktie Chart
Da werden wir, so wie es derzeit aussieht, nicht um die eine oder andere kleinere Kapitalerhöhung drumherum kommen, weil wir einfach das Wachstum finanzieren können und auf der Fremdkapitalseite noch nicht so „bankable“ sind, wie das entsprechend notwendig wäre für die weitere Expansion. Wir sind da ständig im Austausch mit unserer Hausbank. Aber das ist jetzt für dieses Jahr sicherlich noch nicht das Thema.
Finanztrends: Zusätzlich zur nun erfolgen Übernahme von Foerst – Denken Sie auch über eine europäische Expansion nach?
Boris Polenske: Definitiv nein. Deutschland ist einerseits der größte Markt in Europa, der uns noch viel Platz zum Wachsen bietet. Andererseits haben wir in jedem Land, obwohl wir eine einheitliche Führerscheinrichtlinie der EU haben, unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen. Und selbst in Deutschland haben wir teils sehr unterschiedliche Prozesse in der Führerscheinvergabe. Unsere Software ist so gebaut, dass sie auch regional anpassbar ist an regionale Gegebenheiten, aber eben bislang nur für Deutschland.
Für unser Simulatorgeschäft ist das was anderes. Wir haben auch sehr interessierte Anfragen aus der EU oder auch außerhalb der EU, wo eben Nachfrage an Simulatoren auch gerade im LKW- oder Busbereich besteht und wo auch heute schon Geschäftsbeziehungen bestehen. Das will ich weiter ausbauen. Wie gesagt, das Simulator Geschäft ist auch international nicht zu verachten.
Aber der Fokus bleibt weiterhin erst einmal auf dem deutschen Fahrschulgeschäft. Und wenn wir dann irgendwo an große Speditionen, Militär oder andere Abnehmer Simulatoren verkaufen können, ist das schön, aber nur ein nettes Zusatzgeschäft.
Finanztrends: Herr Polenske, wir bedanken uns für das Gespräch.