Nach der GameStop-Party haben Zocker aus den Reddit-Forum WallstreetBets (WSB) ein neues Vehikel für ihre Spekulationen gefunden: Die Cannabis-Aktie Tilray. Im Februar verdreifachte das Papier binnen weniger Tage durch eine koordinierte Kauf-Aktion der Privatanlegern – nur um innerhalb von 24 Stunden wieder beim Ausgangsniveau zu landen. Es stellt sich die Frage: Halluzinieren die WSB-Trader oder steckt hinter Tilray ein seröses Investment mit Substanz?
Legalisierungswelle vergrößert den Markt
Potenzial hat das Cannabis-Geschäft, das sich in den vergangenen Jahren vollkommen gewandelt hat, allemal: Die Einzelhändler sind nicht mehr bloß Kleinkriminelle, die das Zeug in Hinterhöfen verticken, sondern börsennotierte Unternehmen, welche weit mehr bieten als den bloßen Rausch. Das Marihuana wird medizinisch zur Schlaf-, Schmerz-, und Angsttherapie verwendet. Außerdem gibt es im Cannabis-Sortiment Süßigkeiten, Pflegeprodukte und vieles mehr.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen werden für Cannabis-Unternehmen zudem immer vorteilhafter: Viele Länder lockern derzeit ihre Prohibitionsgesetze, was dem legalen Geschäft großen Auftrieb gibt. Besonders in Nordamerika wird die Debatte derzeit intensiv geführt. In ganz Kanada und 37 von 51 US-Bundesstaaten ist der Marihuana-Konsum bereits legal. Das Verbot auf Landesebene könnte in den USA ebenfalls bald kippen.
Denn es gibt bereits einen entsprechenden Repräsentantenhaus-Entscheid, den die Biden-Regierung voll unterstützt. Das Gesetz muss noch nicht einmal durch den Senat geboxt werden, in dem die Demokraten nur eine hauchdünne Mehrheit haben. Der US-Präsident könnte die landesweite Legalisierung von Cannabis einfach per Verfügung durchsetzen.
Das würde nicht nur die Geschäfte in den USA befeuern, sondern hätte auch global eine enorme Signalwirkung. Die Schätzungen zum Potenzial prognostizieren bis 2025 einen legalen Cannabis-Markt von bis zu 150 Milliarden Euro.
Tilray expandiert aggressiv
Tilray könnte von diesem Kuchen ein üppiges Stück abbekommen, da sie durch ihr enges Netz an Partnerschaften die gesamte Cannabis-Produktionskette bedienen. Beim Vertrieb in den Vereinigten Staaten kooperieren sie mit der Novartis-Tochter Sandoz, in Großbritannien, Deutschland und Portugal hat der Cannabis-Spezialist ebenfalls passende Geschäftspartner gefunden. Aktuell sind die Kanadier in 17 Ländern aktiv – Tendenz steigend.
Das Unternehmen verfolgt zudem eine aggressive Expansionsstrategie. Anfang Mai haben die Aktionäre von Tilray der Fusion mit dem Konkurrenten Aphria zugestimmt. Gemessen am gemeinsamen Umsatz haben sie damit den Weg für das weltgrößte Cannabisunternehmen geebnet. Die Transaktion soll noch im aktuellen Geschäftsquartal abgeschlossen werden.
Es bleibt spekulativ
Betrachtet man hingegen die Gegenwart von Tilrays Geschäft, kann es nur ein Fazit geben: Enttäuschung. Denn in Sachen Wachstum sieht es derzeit wieder schlecht aus. Der Q1-Umsatz ist mit 48 Millionen US-Dollar im Vorjahresvergleich um 8 Prozent rückläufig – und hat damit den Analystenkonsens meilenweit verfehlt.
Die WSB-Anleger haben sich durch den herben Dämpfer jedoch kaum verschrecken lassen. Dabei sollten sie sich klarmachen: Cannabis wird auf absehbare Zeit ein hochspekulatives Investment bleiben. Denn selbst wenn die Legalisierung in den USA und anderenorts voranschreitet, wird es schwierig bleiben, in der Branche Geld zu verdienen.
Solange der Markt nämlich nicht konsolidiert ist, wird der Ausblutungswettkampf unter den Produzenten unzählige Insolvenzen erzeugen. Sicher, Tilray mag sich durch die Fusionspläne in einer vielversprechenden Position befinden. Doch wie so häufig könnten sich am Ende Unternehmen durchsetzen, die zuvor kaum jemand auf dem Schirm hatte.
Für ein Investment in so einem Umfeld ist daher viel Mut erforderlich. Langfristig ist mit Mut allein an der Börse jedoch nichts zu verdienen – außer der Anerkennung im Reddit-Forum.
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