Liebe Leserinnen und Leser,
die Aktie von Siemens Energy hat gestern einen unfassbaren Abschlag hinnehmen müssen. Es ging um sage und schreibe -35 % bzw. sogar minimal mehr nach unten. Die Aktie hat zum ersten Mal überhaupt in ihrer Geschichte einen Kurs von weniger als 10 Euro verbuchen müssen. Damit verbunden ist – rechnerisch selbstverständlich – der tiefste Kurs aller Zeiten. Zudem hat die Aktie so viel verloren, wie noch nie zuvor an einem einzigen Handelstag. Die schlechten Daten haben einen gemeinsamen Hintergrund. Das Unternehmen hat Probleme aufgeworfen, die der Finanzmarkt in aller Regel nicht gerne sieht – so auch in diesem Fall nicht.
Siemens Energy: Der tiefe Fall
In kurzen Worten vorab: Siemens Energy fordert wohl Bürgschaften und Garantien vom Bund ein. Das Unternehmen führe erst Vorgespräche, so ein Bericht der „Wirtschaftswoche“. Dennoch: Solche Nachrichten sind an den Börsen nicht wohlgelitten.
Was passiert aktuell? Hinter den Kulissen versucht Siemens Energy offenbar, Garantien zu erwirken. Dafür werden Gespräche mit „Partnerbanken“, wie es heißt, geführt – und eben mit dem Bund. „Garantien“ sind Bürgschaften für den Fall, dass eine Situation xyz eintritt. Der Bund hat in den vergangenen Jahren demonstriert, dass er in Grenzfällen einschreiten kann. Nur: Die Garantien kommen nicht aus heiterem Himmel. Siemens Energy scheint einen schwachen Geschäftsverlauf zu befürchten.
Grund dafür ist das Windgeschäft, das Siemens Energy mit der Tochter Gamesa an Bord geholt hat. Die Marktschätzungen für das kommende Jahr können im Windgeschäft verfehlt werden, so das Unternehmen in einer Selbsteinschätzung. Das wäre gravierend. Bis dato gehen die Börsen im laufenden Geschäftsjahr von einem Verlust in Höhe von gut -4,2 Milliarden Euro aus. Steht hier noch mehr auf dem Spiel?
Im kommenden Jahr nun sollte das Unternehmen einen Gewinn in Höhe von 557 Millionen Euro, mithin also 0,56 Mrd. Euro erwirtschaften. So zumindest sahen oder sehen die aktuellen Schätzungen aus. Dieses Ziel scheint nach diesem Bericht – von außen betrachtet – nun auch in Frage zu stehen. Wie groß die Schäden sind, wie weit auch dieses Ziel verfehlt würde, darf und muss als offen gelten.
Der Umsatz soll(te) in diesem Jahr bei gut 31 Mrd. Euro liegen. Im kommenden Jahr würden Umsätze in Höhe von gut 33 Mrd. Euro erzielt, so das bisherige Bild über das Unternehmen. Damit verbindet sich im laufenden Jahr zudem ein negatives Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Im kommenden Jahr würde der Titel – so die bisherige Schätzung – ein KGV von 19,4 schaffen. Schrumpfen die Umsätze gegenüber den Erwartungen, wäre es überraschend, wenn die Gewinne nicht gleichfalls schrumpfen würden. Dann wäre wiederum das vermutete KGV nicht mehr haltbar.
Wohlgemerkt: Bis dato sind die Schätzungen noch nicht sicher und können sich in jede Richtung ändern. Noch weiß niemand, ob der Bund eintreten wird, noch weiß auch niemand, was die Banken sagen werden. Dennoch: Die Vorzeichen sind nicht erfreulich. Dem Bericht nach soll sich auch die Konzernmutter Siemens AG zieren, hier einzuspringen. Das wäre oder ist besonders bedenklich, da Siemens noch annähernd ein Drittel der Aktien von Siemens Energy hat. Das wäre aus der Sicht der Analysten sicherlich ein weiterer negativer Punkt.
Wenn die Konzernmutter, obwohl bei einer Marktkapitalisierung von gut 8,4 Milliarden Euro zu fast einem Drittel involviert, keine Garantien oder Bürgschaften abgeben möchte und damit eigenes Vermögen auf das Spiel setzt, könnte die Situation ernst sein. So zumindest müssen Analysten und Investoren über das Unternehmen Siemens Energy denken.
Die Aktie hat nun ganz kurz vor dem Wochenende keine richtige Lobby am Finanzmarkt mehr. Es ist fraglich, ob und wie schnell die Börsen wieder Zutrauen bekommen. Das Chartbild hat ohnehin schon seit längerer Zeit Schlagseite. Der Titel ist in diesem Szenario nur noch einmal sehr viel schneller abwärts gerutscht als ohnehin schon.
Damit erhöhen sich auch die statistisch messbaren Verluste am Markt. Die Notierungen haben seit dem 1. Januar nun über -60 % verloren. Das entspricht einem sehr starken Abwärtstrend und unterstreicht, dass der Markt offenbar mit den Rücksetzern in den vergangenen Tagen und auch Wochen durchaus Recht gehabt haben wird.
Die Kursperformance der Siemens Energy-Aktie
Wie es nun am Finanzmarkt und in der Realwelt weitergeht, dürfte offen sein. Die Notierungen jedenfalls sind sowohl aus charttechnischer wie auch aus technischer Sicht in keiner Weise gesichert. Der Titel war bis dato bei den Analysten indes gut bewertet worden. Zuletzt waren die Schätzungen zum Kurspotenzial von Analysten, die auf Marketscreener zusammengefasst werden, mit annähernd 19 Euro sehr hoch. Diese Schätzung wird nach menschlichem Ermessen nun keinen Bestand haben.
Nicht alle Analysten werden sich und ihre Schätzungen unmittelbar korrigieren. Aber: Die Kurse sind und bleiben unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse unter Druck. Demnach werden Analysten reagieren. Wie weit deren Abschläge gehen, wird einen deutlichen Einfluss auf die Bewertung am Markt haben.
Erschwerend kommt hinzu, dass nun die Siemens Energy auch befürchten lässt, dass es im Zuge der Krise zu Kapitalmaßnahmen, etwa einer Kapitalerhöhung kommt. Dies kann dazu führen, dass Altaktionäre damit konfrontiert werden, dass ihre Titel formal durch neue Aktien abgewertet werden. Sie würden dann mit Bezugsrechten geködert. Dennoch: Die Stimmung ist kurz vor dem Wochenende sehr angespannt!
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