Eigentlich sollte Siemens Gamesa als einer der weltweit größten Windanlagenbauer derzeit eine Hochkonjunktur erleben. Schließlich sind die erneuerbaren Energien für die Eindämmung des Klimawandels und damit für die Zukunft der Menschheit ein Zünglein an der Waage.
Doch der Konzern bekommt das nicht zu spüren. Im Gegenteil: Siemens Gamesa verbrennt Geld am laufenden Band. In den letzten beiden Jahren fuhr das spanische Unternehmen jeweils einen dreistelligen Millionenverlust ein. Und auch in den ersten drei Monaten des Jahres 2024 ging das Debakel munter weiter.
Gamesa zieht Siemens Energy mit nach unten
Das ist nicht nur eine bittere Pille für die Gamesa-Aktionäre. Auch der Dax-Konzern Siemens Energy und dessen Anleger schauten in den letzten Monaten geradezu verzweifelt auf die Verluststrähne des Windanlagenbauers. Der Grund: Siemens Energy ist mit 67,1 Prozent an Gamesa beteiligt und somit abhängig von dessen Geschäftsentwicklung.
Entsprechend hat die Krise bei Gamesa erhebliche negative Auswirkungen auf die Bilanz von Siemens Energy. Im ersten Kalenderquartal 2024 musste der Energietechnikkonzern wegen der Schwäche seiner spanischen Tochter einen Nettoverlust von satten 252 Millionen Euro hinnehmen.
Aber warum ist Gamesa aktuell überhaupt in Schieflage?
Nun, der Konzern hat sowohl mit internen als auch mit äußeren Problemen zu kämpfen. So hatte Siemens Gamesa eine neue Onshore-Turbine entwickelt, mit der man den Markt aufrollen wollte. Doch die Markteinführung gestaltet sich aus technischer Sicht offenbar deutlich komplexer als gedacht. Die Investitionskosten liefen also bis dato ins Leere.
Hinzu kommen die allgemeinen Herausforderungen – etwa die immer noch gestörten Lieferketten und die hohen Rohstoffpreise. Besonders bitter: Gamesa hat mit seinen Kunden feste Preise für die Abnahme der Windturbinen vereinbart. Steigen nun die Rohstoffkosten für die Herstellung der Anlagen sehr stark an, kann der Konzern das nicht mehr kompensieren und muss im Endeffekt draufzahlen.
Energy will Gamesa komplett übernehmen und von der Börse nehmen
Siemens Energy jedenfalls will das nicht weiter hinnehmen und die Tochter so schnell wie möglich auf Vordermann bringen. Wahrscheinlich haben Sie es auch schon in den Medien gelesen: Energy kündigte am Wochenende an, dass man Gamesa komplett übernehmen wolle. Für die restlichen 32,9 Prozent der Anteile soll den Aktionären ab Herbst ein Angebot unterbreitet werden. Kostenpunkt: 18,05 Euro je Aktie. Das wären unterm Strich rund vier Milliarden Euro.
Doch nicht nur das: Siemens Energy will Gamesa nach der Komplettübernahme von der Börse nehmen und vollständig in den eigenen Konzern integrieren. Am Kapitalmarkt kam die Ankündigung zunächst sehr gut an.
Gamesa soll effizienter werden
Schließlich könnte Energy den Windanlagenbauer künftig wesentlich effizienter steuern und auch bessere Synergien mit dem eigenen Geschäft schaffen – etwa wenn es um die Beschaffung von Rohstoffen oder das Kundenmanagement geht.
Zudem würde ein Börsen-Delisting von Gamesa wegen der wegfallenden Berichtspflichten mehr unternehmerische Freiheiten ermöglichen. Und nicht zuletzt wäre die Komplettübernahme aufgrund des schwachen Gamesa-Aktienkurses derzeit recht erschwinglich.
Anleger brauchen Geduld
Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Tatsächlich dürfte es einige Zeit dauern, bis die positiven Effekte realisiert werden können. Das hat zum einen damit zu tun, dass der Deal wahrscheinlich erst Ende des Jahres unter Dach und Fach gebracht werden kann – vorbehaltlich der Zustimmung durch die Aktionäre und die Kartellbehörden.
Zum anderen kann Siemens Energy bei Gamesa keine schnellen Wunder bewirken. Das spanische Unternehmen steckt noch lange Zeit in Kundenverträgen fest, die offenbar wenig lukrativ sind. Bis Energy diese Altlasten beseitigen kann, bleibt Gamesa ein Sorgenkind.
Die mögliche(!) Komplettübernahme ist also eher als langfristiger Hoffnungsschimmer zu verstehen. Das hat inzwischen auch die Börse erkannt. So krachte die Aktie von Siemens Energy am Montagnachmittag wieder um knapp 2 Prozent ein, nachdem das Papier am Vormittag gestiegen war (Stand: 23.05.2024, 16:00 Uhr).
Das Potenzial ist da
Unterm Strich aber ist der nun angekündigte Gamesa-Deal für Siemens Energy meiner Meinung nach ein positives Signal. Der Markt für Windkraftanlagen ist grundsätzlich einfach vielversprechend. Man wolle an der Erzeugung von nachhaltigem Strom beteiligt sein, betonte Energy-Chef Christian Bruch vor wenigen Tagen. Das Management sieht also in Gamesa durchaus Potenzial. Auch weil die Probleme der Spanier vor allem durch interne Faktoren bedingt sind, wie die Bestandsaufnahme des neuen Gamesa-CEO Jochen Eickholt zeigt.
Demnach setzen sich die Probleme bei Siemens Gamesa zu 70 Prozent aus internen Komplikationen zusammen. Nur 30 Prozent seien marktbedingte Schwierigkeiten. Siemens Energy kann also durch bessere Unternehmensführung dazu beitragen, die internen Probleme zu lösen und das wahre Potenzial von Gamesa freizulegen.
Manager Eickholt jedenfalls hatte zuvor bereits die Mobility-Sparte von Siemens aus der Krise geführt. Gut möglich, dass ihm das auch bei Gamesa gelingen wird.
Erdgas, LNG, Wasserstoff: Siemens Energy ist weit mehr als Gamesa
Nun aber weg von Gamesa und hin zu einer Sparte, die für Siemens Energy zuletzt deutlich besser lief: „Gas and Power“. Der Konzern produziert über den Geschäftsbereich unter anderem Turbinen für Gaskraftwerke. Und diese scheinen aktuell zu boomen. Der Grund: Gas gilt als wichtige Übergangslösung hin zu den erneuerbaren Energien. Im ersten Kalenderquartal 2024 stieg der Auftragseingang im „Gas and Power“-Geschäft um 29 Prozent auf 6,7 Milliarden Euro. Umsatz und Betriebsergebnis der Sparte legten ebenfalls zu.
Hinzu kommt, dass Siemens Energy beim Aufbau der LNG-Terminals in Deutschland eine Rolle spielen dürfte. So war Konzernchef Christian Bruch zusammen mit Wirtschaftsminister Robert Habeck kürzlich in Katar, um Deutschland Flüssigerdgas-Lieferungen zu sichern. Diese gelten als wichtige Alternative zu russischem Erdgas, das infolge des Ukraine-Kriegs in Verruf geraten ist.
Und nicht zuletzt will Siemens Energy auch beim Thema Wasserstoff ein Wörtchen mitreden und beispielsweise technische Komponenten für Elektrolyseure bereitstellen. In diesen Anlagen wird „grüner“ Wasserstoff mithilfe von Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt.
Sie sehen also: Bei Siemens Energy ist beileibe nicht alles schlecht. Tatsächlich hat der Konzern durchaus langfristiges Potenzial, das derzeit wegen der alles überlagernden Gamesa-Krise meiner Meinung nach noch nicht wirklich im Aktienkurs eingepreist ist.
Im Folgenden meine Pros und Contras zur Siemens Energy-Aktie:
Pros
- Gutes Wachstumspotenzial für Windkraftanlagen.
- Langfristig bessere Synergien zwischen Energy und Gamesa.
- Langfristig effizienteres Management für Gamesa.
- Starke Nachfrage nach Kraftwerkstechnik vor allem im Bereich Erdgas.
- Beitrag zur LNG-Offensive und Rückendeckung aus der Politik.
- Beitrag zur Wasserstoffwirtschaft.
Contras
- Gamesa bleibt auf absehbare Zeit ein Sorgenkind.
- Anleger müssen sich weiterhin auf Bilanzdellen und Gewinnwarnungen einstellen.
- Finanzierung der Komplettübernahme durch mögliche Kapitalerhöhung dürfte die Aktie verwässern und kurzfristig für sinkende Kurse sorgen.
- Anleger müssen Geduld mitbringen.
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