Risikofreie Gewinne am deutschen Aktienmarkt – da staunt der Ausländer!

In meiner Wahlheimat, den Britischen Inseln, sind die Deutschen nach wie vor für einige ihrer traditionellen, liebenswerten Macken bekannt. Darunter auch ihre Vorliebe für lange Wörter. Regelmäßig bringe ich Freunde und Geschäftskontakte zu schallendem Gelächter, wenn ich ihnen von Wörtern wie dem „Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz“ erzähle. Das sind 63 Buchstaben für ein Wort, das ein bis 1999 gültiges Gesetz beschreibt.

Neben langen Wörtern gehören hochwertiges Bier, leckere Würste und komplizierte Gesetze zu den Dingen, die man dem deutschen Michel gerne zuschreibt.

Und was komplizierte Gesetze anbelangt, staunt so manch ausländischer Beobachter auch über die Spezialitäten und Gepflogenheiten des deutschen Übernahmegesetzes.

Wird in London oder New York eine Börsen-AG mehrheitlich übernommen, kann der neue Herr im Haus die verbliebenen Aktionäre in einem relativ simplen, klaren und seit langer Zeit etablierten Verfahren vor die Türe setzen und zu 100% die Kontrolle übernehmen.

Nicht so in Deutschland, wo wie immer alles ein bisschen anders und komplizierter ist.

Von Abfindungen, Andienungsrechten und Minderheitsschutz

Als Leser einer Webseite, auf der Dutzende kompetente deutsche Aktienexperten regelmäßig über Sondersituation am deutschen Markt berichten, sind Ihnen die Begriffe aus dem deutschen Übernahmerecht sicherlich alle bekannt.

Wenn Sie schon etwas länger am deutschen Markt investieren, haben Sie vielleicht auch mitbekommen, wie sich diese Regelungen über die Jahre verändert haben. In den letzten 20 Jahren wurden zum Beispiel auch neue Regelungen für den „Squeeze Out“ und die 100%-ige Übernahme von Börsen-AGs eingeführt sowie bestimmte Rechtsmissbrauchsmöglichkeiten klagewütiger Aktionäre eingedämmt.

In dieser deutschen Version meiner wöchentlichen Kolumne (die auf Englisch unter www.undervalued-shares.com erscheint), spare ich mir deshalb die Erläuterung dieser Besonderheiten des deutschen Marktes. Zudem dürften Sie noch viel besser als ich über Deutschlands kommenden Ausstieg aus der Atomenergie Bescheid wissen.

Gehen wir also sofort zum Kern der Geschichte über: Wie ist es einigen cleveren Anlegern mal wieder gelungen, am deutschen Aktienmarkt praktisch risikofreie Gewinne einzufahren?

Ein deutscher Energieversorger, anstehende Strukturmaßnahmen und das besondere deutsche Übernahmeverfahren liefern die Antwort.

Bei Innogy gab es was zu holen

Um sich auf die bevorstehenden Veränderungen am deutschen Energiemarkt vorzubereiten, unterbreitete E.ON ein Übernahmeangebot für die börsennotierte Innogy, in der RWE vor zwei Jahren diverse Aktivitäten im Bereich erneuerbarer Energien gebündelt hatte.

Als die anstehende Übernahme Mitte dieses Jahres bekannt wurde, ließ sich der CEO von E.ON, Dr. Johannes Theyssen, zur Aussage hinreißen, dass bei etwaigen späteren zusätzlichen Angeboten für die Innogy-Aktien kein höherer Preis zu erwarten sei als die im ersten Durchgang gebotenen EUR 36,76 je Aktie.

Das Problem war nur: Weder gab es für diese Aussage eine fundierte rechtliche Grundlage, noch entsprach diese Aussage dem zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlichen Verlauf der nunmehr in mehreren Abschnitten angestrebten vollständigen Kontrollübernahme von Innogy durch E.ON. Zumindest auf Basis der damals vorliegenden Rahmendaten war nämlich zu erwarten, dass ein höheres zweites Angebot gemacht werden muss.

Emsige Analysten konnten deshalb mit einigem Rechercheaufwand herausfinden, dass hier auf jeden Fall ein risikofreier Gewinn winkte und es eventuell sogar noch zu einem Schmankerl kommen würde.

An der Börse konnte man seinerzeit noch munter zu EUR 36 Aktien einsammeln. Wie in solchen Fällen üblich, notierte der Kurs zunächst einen Tick unter dem tatsächlichen Übernahmeangebot.

Clevere Anleger gingen folgendermaßen vor:

  • Aufkaufen der Innogy-Aktien zu EUR 36, was sogar in stattlichem Volumen möglich war.
  • Per Mitte 2019 wird man diese Stücke zu für EUR 36.76 in bar bei der E.ON andienen können. Bis dahin wird auch noch eine Dividende von EUR 1.64 gezahlt, so dass man auf jeden Fall gesamt EUR 38.40 erlösen kann. Gegenüber dem Einstandspreis von EUR 36 eine Rendite von 4.6% vor Gebühren und Steuern.
  • In der zweiten Jahreshälfte wird es aller Wahrscheinlichkeit noch eine zweite Dividende von EUR 1.64 je Innogy-Aktie sowie ein weiteres Übernahmeangebot geben. Es sind relativ leicht Szenarien vorstellbar, in denen die weitere Dividendenzahlung und das zweite Übernahmeangebot den Gesamterlös auf EUR 42/43 je Innogy-Aktien treiben werden. Und wer im ersten Durchgang angedient hat, sollte die Differenz als Nachbesserung erhalten.

Das Schöne daran ist, dass E.ON aufgrund verschiedener juristischer, wirtschaftlicher und praktischer Details – deren Darstellung hier zu weit führen würde – wahrscheinlich gar keine andere Wahl haben wird, als einen höheren Preis als die ursprünglichen EUR 36.76 zu bieten. Dr. Theyssen hatte entweder noch nicht sein Vorstands-Memo über die juristischen Details der Transaktion studiert, oder aber dies einfach ignoriert, um „böse Spekulanten“ von der Aktie seiner Begierde fern zu halten.

So oder so, die Innogy-Aktie ist mittlerweile schrittweise auf EUR 39.70 gestiegen. Wer damals aufpasste und rechtzeitig zugriff, konnte relativ einfach und praktisch ohne Risiko Geld verdienen.

Deutschland wird auch weiterhin „liefern“

An solchen Spekulationen und Prozessen war ich bereits in den 1990er Jahren beteiligt, teilweise schrieb ich auch Studien darüber, wovon die Mehrzahl auch für meine Leser lukrativ war.

Im vorliegenden Fall ist der Zug bereits weitgehend abgefahren.

Dennoch lassen sich an dieser Geschichte beispielhaft einige interessante Aspekte aufzeigen:

  • Märkte sind nicht so effizient wie immer wieder dargestellt. Ganz legal und ohne Insiderinformationen lässt sich gelegentlich ein Informationsvorsprung ausnutzen.
  • Wer gelegentlich über die Grenzen seines eigenen Landes blickt, findet mitunter die interessantesten Anlagechancen. Der gemeine Brite wäre gut beraten, weniger Witze über deutsche Würste zu machen und sich stattdessen mit deutschen Sondersituationen am Aktienmarkt vertraut zu machen.
  • Hinter komplexen Zusammenhängen verbergen sich mitunter noch die größten Chancen. Anders ausgedrückt, je mehr Zeit und Aufwand Sie in Research investieren, desto eher finden Sie eine Chance, die andere bislang übersehen haben.

Um sich an diesen Opportunitäten zu beteiligen, können Sie folgendermaßen vorgehen:

  • Sie legen sich eine solide juristische Grundausbildung zu und verbringen anschließend einige Jahre damit, in der Analyse diese speziellen Sektors Erfahrungen zu sammeln.
  • Sie können einen Blog lesen, der gelegentlich über die besten solcher Chancen berichtet (nicht, dass ich hier irgendwelche eigenen Interessen verfolgen würde…).
  • Sie konsultieren einen Fondsmanager, der sich darauf spezialisiert hat, diese Chancen systematisch zu recherchieren und für das eigene Fondsportfolio auszunutzen. Hier würde für Sie also der Kauf des entsprechenden Fonds ausreichen.

All dies mag vergleichsweise langweilige Lektüre sein, wenn man stattdessen über das heißeste Start-up oder den am meisten gehypten Hype lesen kann. Artikel über Tesla lesen sich jedenfalls spannender als die Analyse der juristischen Schritte einer deutschen Übernahme.

Im Vergleich dazu, welche Risiken Sie mit vielen andere Anlagearten eingehen müssen, ist das Chancen-/Risikoverhältnis der hier kurz umzeichneten Sondersituationen aber viel besser.

Und was Risiko, sinkende Aktienkurse und abgleitende Aktienindizes angeht, lernt ja auch der ein oder andere jüngere Anleger gerade eine Lektion.

Die Aktie von Innogy ist jedenfalls von den wackelnden Märkten – alleine im DAX ging es seit Januar um 14% rückwärts – nicht betroffen. Die Aktie von Innogy notiert nur unwesentlich unter ihrem Rekordstand des Jahres 2018. Langweilig, aber lukrativ!

Beste Grüße

Swen Lorenz

Undervalued-Shares.com

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