Liebe Leserin, lieber Leser,
die Aktie von NIO kommt nicht mehr aus dem Kurskeller. Bei 7,60 US-Dollar hatte die Papiere des chinesischen Elektroauto-Herstellers am Dienstag vergangener Woche in New York gar ein neues Mehrjahrestief ausgebildet, aktuell notiert die Aktie nur unwesentlich höher bei 7,87 Dollar. Was dem aufstrebenden Unternehmen derzeit so zusetzt, ist unklar. Dass der Tesla-Herausforderer in der Aufbauphase massiv Schulden anhäuft, war auch im Sommer 2022 schon klar. Damals allerdings waren für die Anteilscheine von NIO fast 25 Dollar aufgerufen worden. Die Elektroautos selbst überzeugen offenbar, haben aber wohl ein Kernproblem.
NIO ET5 ist teurer als Teslas Model 3 Long Range
Zunächst zum Positiven: Mehrere Autotester haben zuletzt den NIO ET5 unter die Lupe genommen, das nächste Modell der Chinesen auf dem europäischen Markt, und die Experten sind durchaus angetan. „Diesmal im Visier: Niemand geringeres als das Tesla Model 3“, heißt es etwa bei Auto, Motor & Sport (AMS). Technisch könnte der Angriff auf das Mittelklasse-Elektroauto des US-Pioniers durchaus gelingen, so das vorweggenommene Fazit, doch es gibt einen Haken:
- NIO ruft für den NIO ET5 mit 75-kwh-Akku 47.500 Euro Kaufpreis auf, dazu kommen mindestens 169 Euro Batteriemiete
- Damit ist das E-Auto laut AMS rund 8.000 Euro teurer als das Model 3 Long Range von Tesla. Kann das aufgehen?
In vier Sekunden von Null auf Hundert
Das Auto selbst bekommt insgesamt gute Noten – von der Preisgestaltung einmal abgesehen. „So kompliziert die Rechnerei ist, so einfach ist das Fahren“, heißt es nach der ersten Ausfahrt etwa bei der Autozeitung. „Denn der neue Nio ET5 (2024) gibt auf der ersten Testfahrt keine Rätsel auf und macht einen ausgesprochen souveränen Eindruck.“ Lediglich die Nervosität der vielen Assistenzsysteme wird bemängelt, wenn „eigenwillige Tempoanpassungen den Verkehrsfluss bremsen“. Dabei sei der Neue eigentlich einer von der eiligen Sorte:
- In Deutschland nur als Allradler mit zwei E-Maschinen erhältlich kommen diese zusammen auf 360 kW (490 PS) und 700 Newtonmeter
- Das reiche im besten Fall für einen Sprint von null auf 100 km/h in 4,0 Sekunden, erst bei Tempo 200 werde abgeregelt
Auto, Motor & Sport lobt derweil das großzügige Cockpit, „mit einer weichen Lederalternative ausgekleidet und fein säuberlich verarbeitet“, wie es heißt. Die Displays stellten brillant und ruckfrei dar, nur für die Bedienung müsse man ordentlich Eingewöhnungszeit einplanen. Die Batteriemiete dürfte gegenüber einem Kauf für 12.000 bzw. 21.000 Euro extra jedoch die bessere Option sein. Denn nur so ist der Zugang zu den Batteriewechselstationen von NIO gewährt. „Davon gibt es zwar aktuell nur drei in Deutschland, aber bis Ende des Jahres soll das Europa-Netz auf immerhin 70 Stationen anwachsen“, so der Bericht.
NIO sieht sich Tesla offenbar überlegen
Es ist das Alleinstellungsmerkmal des chinesischen Herstellers, wenige Minuten nur soll ein Akkutausch benötigen. Ist den europäischen Kunden das den hohen Preis wert? „Mein Problem ist, dass NIO sich absolut weigert, mit Tesla in Bezug auf die Preise für Elektrofahrzeuge zu konkurrieren“, kommentiert David Moadel aktuell auf InvestorPlace.com. Inflation sei ein Problem auf mehreren Kontinenten „und definitiv in Europa“. Es wäre laut des Experten daher sinnvoll, wenn NIO seine Fahrzeuge erschwinglicher machen würde, aber das Management werde wohl nicht nachgeben. NIO-CEO William Li gab sich demnach jüngst kategorisch: „Für uns werden wir sicherlich nicht in den Preiskampf eintreten.“
Darüber hinaus glaube William Li offensichtlich, dass NIO kein direkter Rivale von Tesla sei, vielmehr halte man die eigenen Elektrofahrzeuge in Bezug auf Design, Technologie und Leistung dem Modell 3 und dem Modell Y für überlegen, so der Bericht. „Ehrlich gesagt kommt es mir übertrieben selbstbewusst vor, dass Li den globalen Automobilgiganten Tesla auf diese Weise abtut“, schreibt David Moadel. Tesla habe eine weit verbreitete Loyalität und Markenbekanntheit, gibt er zu bedenken.
Auslieferungszahlen im März rückläufig
Da könnte was dran sein. Denn in der Tat hatte NIO einen mühsamen Start in Deutschland, wo Ende Dezember in Berlin das erste NIO House eröffnete, Anfang April folge das zweite in Frankfurt/Main. In den ersten drei Monaten kam der Hersteller hierzulande auf insgesamt lediglich 136 Zulassungen.
- Weltweit lieferte NIO im ersten Quartal 31.041 Fahrzeuge aus, ein Anstieg um 20,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr
- Im März allerdings waren die Absatzzahlen im Vergleich zum Februar um 15 Prozent zurückgegangen
Analysten senkten NIO-Kursziele
Rückläufig waren in den vergangenen Monaten auch die Erwartungen an die Nio-Aktie von Seiten der Analysten. Gut 31 US-Dollar betrug noch Ende Oktober 2022 laut marketscreener.com das durchschnittliche Kursziel für die Papiere. Es hat sich mittlerweile mehr als halbiert. Allerdings sehen die Beobachter mit einem Ziel von aktuell 14,39 US-Dollar weiterhin ein Aufwärtspotenzial von gut 80 Prozent.
Die NIO-Aktie hingegen kennt seit langer Zeit nur noch einen Weg: nach unten. Der Abschlag seit dem erwähnten Hoch im Sommer 2022 beläuft sich mittlerweile auf knapp 70 Prozent. Allein in den vergangenen drei Monaten hat NIO ein weiteres Drittel seines Börsenwerts eingebüßt.
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