Nio-Aktie: Europa im Visier!

„Das gefährlichste Auto der Welt?“, fragte Autobild, als Jiangling Motors 2005 sein Modell Landwind nach Deutschland brachte. Der ADAC-Crashtest des chinesischen Fabrikats hatte damals ergeben: Ein Frontalaufprall bei 65 km/h würde für den Fahrer des Fahrzeugs den sicheren Tod bedeutet. Der Markteintritt scheiterte krachend, das Image schlampiger Autobauer haftet an den Chinesen bis heute.

Seitdem hat sich in der Autobranche viel verändert. Die chinesischen Hersteller haben in Joint Ventures viel von den Europäern gelernt. Das Resultat: Die Modelle aus Fernost kassieren in puncto Sicherheit und Komfort immer häufiger Bestnoten.

Die Elektromobilität eröffnet nun ein neues Kapital in der Industrie – eine Chance für die chinesischen Marken, gegen die BMW, Daimler und Volkswagen zu punkten. In einer Vielzahl drängen sie auf den europäischen Markt.

Zu den aussichtsreichsten Herstellern aus Fernost gehört das Elektro-Start-up Nio. Die Premium-Marke debütiert im Herbst in Norwegen, im Erfolgsfall ist Ende 2024 Deutschland an der Reihe. Kann der Neuling fernab von der Heimat den etablierten Konzernen Marktanteile abringen? Ein Kurz-Briefing für Sie.

Konsolidierung in China

Anders als in Europa ist die Elektroauto-Revolution in China bereits im vollen Gange. Bereits jetzt gehen in dem Land jährlich etwa eine Millionen Elektro-Modelle vom Band, jedes zweite E-Auto weltweit stammt damit aus China. Bis 2028 sollen es schon acht Millionen produzierte Elektrofahrzeuge im Jahr sein.

Die meisten der chinesischen Fahrzeuge werden in der Heimat abgesetzt, wo sich das Wachstum allmählich abschwächt – auch weil die Regierung in Peking die einst sehr hohen Kaufprämien für Stromer stufenweise kürzt.

Diese Entwicklung dürfte den Markt in den nächsten Jahren konsolidieren. Nur Unternehmen, die eine gewisse Größe erreichen, um dadurch Skaleneffekte zu erzielen, werden am Ende überleben. Zu den aussichtsreichsten Kandidaten gehört neben BYD, Geely, SAIC und Xpeng eben auch Nio.

Norwegen im Visier

Sich in Europa zu etablieren, ist nun das Ziel der Hersteller. Im Herbst wird Nio mit seinem Modell ES8 in Norwegen starten – das bevorzugte Land für den Markteintritt, da dort die Ladeinfrastruktur europaweit am weitesten fortgeschritten ist. Spätestens im vierten Quartal 2024 sollen laut Nio-Chef William Li die Luxus-SUVs allerdings auch in Deutschland erhältlich sein.

Das chinesischen E-Auto-Start-up hat bereits bewegte Zeiten hinter sich: 2016 wurde der EP9 als schnellster Elektro-Rennwagen gefeiert, drei Jahre später musste die Provinzregierung von Hefei den Autobauer vor der Insolvenz retten. An der Börse ist Nio jetzt wieder mehr wert als BMW. Anleger, die seit Anfang 2020 investiert sind, konnten den Wert ihrer Anteile verzehnfachen.

Das Unternehmen ist zudem äußerst innovationsfreudig. Beim Service etwa geht der Hersteller neue Wege: Statt sich mit langen Ladezeiten aufzuhalten, können Nio-Kunden in China Tauschstationen anfahren und ihren Akku dort innerhalb von drei Minuten vollautomatisch wechseln lassen. Einfache Reparaturen und Wartungsarbeiten werden mittels mobilen Servicefahrzeugen vor Ort beim Kunden erledigt.

Rasantes Wachstum

Bei den kürzlich veröffentlichten Quartalszahlen hat Nio wieder einige Rekorde präsentiert. Der Umsatz des Unternehmens stieg im Vorjahresvergleich um 127 Prozent, den Nettoverlust halbierte sich auf umgerechnet 85 Millionen Euro. Damit übertraf der Autobauer die Prognosen großer Bankhäuser deutlich.

Für das Gesamtjahr prognostizieren Analysten ähnliche Wachstumszahlen wie für das zweite Quartal. Der Umsatz wird demnach 4,7 Milliarden Euro betragen. Auch in den Folgejahren sehen die Experten bei Nio rasantes Wachstum, das sich jedoch stufenweise abflachen wird. Nettogewinne sind ab 2024 in Sicht.

Nio ist ein Wachstumswert auf einem sehr aussichtsreichen Markt. Die strategisch cleveren Service-Angebote, etwa für den Batterietausch, bieten ein interessantes Alleinstellungsmerkmal. Mit der Wende hin zur Elektromobilität hat das Unternehmen reelle Chance, sich in Europa zu etablieren. Gelingt der Markteintritt in Norwegen, kann der Hersteller auch in Kontinentaleuropa Fuß fassen.

Eines ist bei den chinesischen E-Auto-Pionieren bereits sicher: Die Verarbeitungsqualität der Fahrzeuge ist über jeden Zweifel erhaben. Die Sicherheitssorgen von einst kann man getrost vergessen.

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