Liebe Leserin, lieber Leser,
es ist genau ein Monat her, dass Nikola Motor, selbsternannter Revolutionär im Schwerlastverkehr, seine Aktivitäten in Europa beerdigt hat. Statt elektrische Trucks und Wasserstoff-Lkw auf dem Kontinent zu produzieren und zu vertreiben, überlässt man das in Zukunft Partner Iveco. Dass sich Nikola künftig auf den nordamerikanischen Markt konzentrieren will, hat finanzielle Gründe. Das hochdefizitäre Start-up braucht dringend weiteres Kapital, will daher neue Aktien ausgeben. Vor der eigentlich für diesen Mittwoch angesetzten Hauptversammlung sollten die Aktionäre dem mehrheitlich zustimmen. Es kam alles anders.
Nikola hat keine Mehrheit für Kapitalerhöhung
Denn Nikola Motor war mit seinem Vorhaben gescheitert – und hat die Hauptversammlung am späten Mittwochabend europäischer Zeit in buchstäblich letzter Minute abgesagt. Die Versammlung werde auf den 6. Juli um 13:00 Uhr Pacific Time vertagt, um den Aktionären zusätzliche Zeit zu geben, für Vorschlag 2 zu stimmen, teilte Nikola mit. Und dieser Passus in der Einladung bestimmt möglicherweise, ob das Unternehmen überhaupt noch eine Zukunft hat.
Denn darin geht es um die Erhöhung der genehmigten Anzahl von Stammaktien, erfordert jedoch die Genehmigung einer Mehrheit aller ausstehenden Stammaktien. Mehr als 77 Prozent der bis zum 6. Juni abgegebenen Stimmen befürworteten laut Nikola die Erhöhung, und doch waren es zu wenige. Es kommt demnach nicht nur auf das Abstimmungsverhältnis an, sondern auf die Gesamtzahl der abgegeben Stimmen.
- Für Vorschlag 2 gelte ein viel höherer Schwellenwert (50% Quorum), der für die Genehmigung erforderlich ist, heißt es
- Nikola aber verfüge über eine vielfältige Aktionärsbasis mit vielen Investoren, die kleine Anteile am Unternehmen halten
- Es werde noch mehr Zeit benötigt, um die erforderliche Anzahl für einen erfolgreiche Abstimmung zu erhalten
Nikola appelliert an „ALLE Aktionäre“
Das Unternehmen richtete daher einen dringlichen Appell an die Anteilseigner: „Nikola fordert ALLE Aktionäre auf, SOFORT FÜR Vorschlag 2 zu stimmen, der es Nikola ermöglichen würde, die genehmigte Anzahl von Aktien zu erhöhen, was dem Unternehmen mehr Flexibilität geben würde, um das zukünftige Wachstum und die Entwicklung seines Geschäfts zu unterstützen.“ Das klingt, trotz der in Versalien gehaltenen Passagen, noch nicht allzu dramatisch.
Wenig später aber wird das Nikola-Management in der Mitteilung deutlich: „Der Vorstand und das Führungsteam von Nikola sind davon überzeugt, dass es im besten Interesse von Nikola und seinen Aktionären ist, Vorschlag 2 voranzutreiben, um sicherzustellen, dass Nikola seine laufenden Geschäfte fortsetzen kann, einschließlich des Kapitalbedarfs“. Übersetzt: Sollte kein zusätzliches Kapital eingesammelt werden, ist das Unternehmen offenbar nicht mehr geschäftsfähig. Am Ende.
Angst vor dem Totalverlust
Abstimmungsberechtig sind alle, die am 10. April im Besitz von Nikola-Aktien waren, ganz gleich, ob sie diese jetzt noch halten. Die Aktionäre haben somit nur „die Wahl zwischen Pest und Cholera“, wie es ein Anleger in einem Börsenforum jüngst ausdrückte. Entweder man stimme der Entwertung der eigenen Aktien zu, oder riskiere die Insolvenz von Nikola Motor „und damit den Totalverlust“. Andererseits: Um wieviel soll die Aktie eigentlich noch fallen?
Denn nachdem Nikola Anfang Mai bekanntgab, sein europäisches Fertigungs-Joint-Venture an Iveco zu verkaufen, dazu die angestrebte Kapitalerhöhung, mutierten die Anteile zum Pennystock. Letztmals am 8. Mai wurde für die Nikola-Aktie ein Kurs von mehr als einem US-Dollar aufgerufen. Zur Einordnung: Im August 2022 lag der Kurs bei 8,76 Dollar, aktuell sind es 0,61 US-Dollar, das Minus beträgt seitdem irrwitzige 93 Prozent. Wie dramatisch das Ganze sich darstellt, zeigt sich allerdings erst beim Blick auf das Allzeithoch im Juni 2020, kurz nach Börsengang des Unternehmens.
Nikola-Aktie mit mehr als 99 Prozent im Minus
Auf annähernd 80 Dollar war die Aktie von Nikola vor knapp drei Jahren gestiegen, der Abschlag beträgt somit mehr als 99 Prozent (!). Wer also im Sommer 2020 beim selbst ernannten Tesla der Lastwagenbranche eingestiegen sein sollte und den Absprung verpasst hat, kann bei seinem Investment bereits jetzt ohne Bedenken von einem Totalverlust sprechen.
Das kommt jedoch alles andere als überraschend. Dass Nikola Motor Quartal für Quartal eine dreistellige Millionensummer verbrennt und bislang kein einziger Wasserstoff-Truck an Kunden ausgeliefert wurde (es handelte sich stets um batterieelektrische Modelle), ist nur ein Teil der bitteren Wahrheit. Zudem darf man nicht vergessen, welchen Skandal Nikola im Laufe der Firmengeschichte produziert hat.
Nikola-Gründer im Herbst 2022 verurteilt
Vor gut einem Jahr musste das Management einräumen, dass Firmengründer Trevor Milton bezüglich der Leistungsfähigkeit seiner Produkte schlicht gelogen hatte. Laut der Automobilwoche hatte Nikola dies gegenüber der US-Börsenaufsicht SEC in einem mehrseitigen Dokument eingeräumt. Im Kern ging es um einen im Jahr 2016 präsentierten Brennstoffzellen-Lkw, der angeblich funktionstüchtig war. „Dies war unzutreffend“, gab man kleinlaut zu Protokoll.
Milton war zu diesem Zeitpunkt als CEO längst zurückgetreten. Im Herbst 2022 wurde der 40-Jährige dann in drei Betrugsfällen im Zusammenhang mit überoptimistischen Versprechen Nikolas verurteilt, hieß es beim Handelsblatt.
- Er habe sich des Betrugs schuldig gemacht, entschied ein Bundesgericht in Manhattan
- Laut Urteil hat Milton die Investoren des Start-ups in die Irre geführt
- Von einer Anklage wegen Wertpapierbetrugs wurde er indes freigesprochen
- Das Straßfmaß sollte noch im Juni 2024 verkündet werden
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