Noch haben die USA das Geld ihres Mega-Konjunkturpakets nicht verteilt, da will Joe Biden schon wieder im großen Stil nachlegen. Der US-Präsident plant, im kommenden Jahr zwischen drei und fünf Billionen Dollar in Infrastruktur, erneuerbare Energien und Sozialprogramme zu investieren.
Im Wahlkampf ist der 78-Jährige noch als Gemäßigter angetreten und der Demokratische Kandidat des progressiven Flügels, Bernie Sanders, schmähte ihn als einen „mutlosen Mann“. Nun bezeichnete Sanders das kürzlich verabschiedete Hilfsprogramm als „das wichtigste Gesetz seit den 60ern“ – und Biden plant noch viel mehr. Ist das Land plötzlich auf dem Weg zu einem Sozialstaat europäischer Prägung?
Auf Naturkatastrophen folgen sozialer Reformen
In den USA findet derzeit ein grundsätzlicher Sinneswandel über die Rolle des Staates statt. Der neoliberale Konsens, der im angelsächsischen Raum seit Reagan und Thatcher herrschte, ist Geschichte. Das ist die Folge davon, dass spätestens seit der Corona-Krise die Mittelklasse im Land stark unter Druck ist und besonders Familien mit Kindern leiden. Die Bürger klagen zum ersten Mal seit vielen Jahren, dass die Regierung zu wenig gemacht hat, nicht zu viel.
Dass der Paradigmenwechsel mit einer Pandemie zusammenfällt, ist keine bloße Koinzidenz. Die Geschichte lehrt, dass Krisen den Wandel herbeiführen – und auch die Richtung der Veränderung nach einem vorhersehbaren Muster bestimmen.
Man würde zwar erwarten, das kapitalistische Krisen der Linken nützen. Doch seitdem der Bonner Ökonom Moritz Schularick 2018 Wahlausgänge und wirtschaftliche Verwerfungen der letzten 250 Jahre ausgewertet hat, wissen wir: Nach Bank- und Finanzkrisen steigt die Zustimmung der Bevölkerung für rechtspopulistische Parteien und Politiker im Schnitt um rund 30 Prozent. Nach Kriegen und Naturkatastrophen geht es hingegen in der Regel in die andere Richtung: Es ist die Zeit der sozialen Reformen.
Nur leise Kritik der Republikaner
Während das kürzlich verabschiedete Konjunkturpaket nur mit neuen Schulden finanziert wird, sollen für das neue Infrastrukturprogramm auch die Steuern für Reiche und Firmen erhöht werden. Folglich dürften die Pläne im US-Kongress auf Widerstand stoßen – insbesondere im Senat, wo die Demokraten nur über eine hauchdünne Mehrheit verfügen.
Kurzfristig bräuchte die Biden-Regierung für ein Gesetzespaket, dass die Republikaner nicht blockieren können, jedoch 60 von 100 Stimmen. Daher denkt man im Weißen Haus darüber nach, das Investitionsprogramm zu stückeln. Für die Modernisierung der Straßen, Bahnstrecken und Hochspannungsleitungen wären auch Republikaner zu gewinnen. Andere Teile des Programms könnten die Demokraten mit einem speziellen Haushaltsverfahren durch den Senat boxen, bei dem auch eine einfache Mehrheit genügt.
Der Rückhalt der Bevölkerung ist der Regierung in jedem Fall sicher: Laut den ersten Umfragen unterstützen drei von vier Amerikanern das Kombi-Paket. Die Republikaner halten sich daher mit anhaltender Kritik bislang zurück. Es ist jedenfalls kein Vergleich zu dem Furor, als sie über Jahre hinweg die Gesundheitsreform von Ex-Präsident Barack Obama bekämpft haben. Im US-Parlament wird stattdessen wieder ernsthaft über Sozialpolitik und Steuererhöhungen diskutiert. Das allein zeigt, dass im Land ein Umbruch im Gange ist und es wieder mehr um Lösungen als um Gesinnung geht.
Deutsche Unternehmen stehen in den Startlöchern
Die Medienberichte zu den neuen Ausgabenplänen im Weißen Haus unterstützen an den Börsen gegenwärtig den Deutschen Leitindex, der aufgrund der erneuten Lockdown-Verlängerung einzustürzen drohte. Anleger haben erkannt, dass deutsche Unternehmen in den USA von Bidens Plänen für Infrastruktur und erneuerbare Energien profitieren würden.
Insbesondere bei der Stromübertragung sowie langfristig auch beim Thema Wasserstoff hätten deutsche Ausrüster in den Vereinigten Staaten großes Auftragspotenzial. So setzt man hierzulande schon länger als die amerikanischen Wettbewerber auf Nachhaltigkeit – und ist vor allem in puncto Windkraft und Energieeffizienz im Vorteil.
Ein wenig bremsen könnte die deutschen Konzerne und Mittelständler in den USA Bidens „Buy American“-Erlass. Das Gesetz sieht vor, dass mindestens 55 Prozent der amerikanischen Wertschöpfung von inländischen Firmen erzielt werden muss. Eine ähnliche Regel könnte es künftig auch für den Zugang zu den neuen Fördertöpfen geben.
Dennoch lägen die potenziellen Gelder für ausländische Firmen im Billionen-Dollar-Bereich. „Amerika macht große Dinge“, sagte Biden kürzlich, „das können wir am besten.“ Jetzt stehen Siemens, RWE und Co. Schlange, um ein kleines Stück vom gewaltigen Kuchen abzubekommen.