Netlist-Aktie: Irrationaler Überschwang?

Organisierte Kleinanleger haben mal wieder zugeschlagen. Eine Fülle von Beiträgen bei Reddit, Twitter und Stocktwits hat dafür gesorgt, dass der Aktienkurs des US-amerikanischen Speichertechnologie-Konzerns Netlist in den vergangenen Wochen vervielfacht hat. Der Titel kletterte rasant von 2,50 Euro auf zuletzt über 8 Euro. Das Unternehmen nähert sich einer Marktkapitalisierung von zwei Milliarden US-Dollar an.

Dabei ist Netlist auf dem Markt für Speicherlösungen ein relativ kleiner und obendrein unprofitabler Player. Doch gegen keinen geringeren als Google-Mutterkonzern Alphabet hat das Unternehmen geklagt, weil der Online-Gigant Patentrechte von Netlist verletzt haben soll. Da der Speicher-Produzent in einem ähnlichen Rechtsstreit eine satte Abfindung erwirken konnte, phantasieren zahlreiche Reddit-User nun über baldige Ausgleichszahlungen seitens Alphabet in Milliardenhöhe.

Hat Netlist tatsächlich gute Chancen, bei seiner Klage gegen Google groß abzusahnen und es auf dem hart umkämpften Markt für Speichersysteme mit der viel größeren Konkurrenz aufzunehmen? Oder werden wir wieder einmal Zeugen eines irrationalen Überschwangs der Online-Communities? Eine Kurz-Analyse.

Schwache Zahlen

Netlist wurde im Jahr 2000 gegründet und hat seinen Hauptsitz in Irvine, Kalifornien sowie Produktions- und Testeinrichtungen in der chinesischen Stadt Suzhou nahe Shanghai. Der US-Hersteller hat sich auf Hochleistungsspeichersysteme für Unternehmenskunden spezialisiert – von SSDs bis zu modularen Subsystemen. Die Produkte finden in erster Linie ihren Einsatz bei Echtzeitanalysen in Big-Data-Anwendungen, in In-Memory-Datenbanken und beim High-Performance-Computing im Allgemeinen.

Netlist besitzt über 100 Patente und ist nach eigenen Angaben führend beim Thema Hybrid-Speicher, der Verschmelzung der Technologien DRAM und NAND. Das Netlist-Produkt namens HybriDIMM soll demnach nicht nur besonders leistungsfähig, sondern auch umweltschonend sein.

Mit Umsätzen im zweistelligen Millionenbereich spielen die Kalifornier auf den Märken für Hochleistungsspeicher allerdings keine nennenswerte Rolle. Der globale DRAM-Markt wird von drei Unternehmen mit Milliardenumsätzen dominiert, nämlich Samsung, SK Hynix und Micron. Ähnlich ist die Situation auf dem NAND-Markt: Fünf größere Anbieter machen über 90 Prozent des Umsatzes unter sich aus.

Vergangenes Jahr gelang Netlist ein Umsatzsprung: Die Erlöse stiegen im Geschäftsjahr 2020 um 81 Prozent auf 47,2 Millionen Dollar. Profitabel ist das Tech-Unternehmen jedoch nicht gewesen: Auf Stufe Ebitda machte der Speicher-Spezialist einen Verlust von 7,2 Millionen Dollar – ebenfalls immerhin eine Verbesserung zum Vorjahr.

Zum Jahresbeginn stagnierte das Wachstum jedoch wieder: Im ersten Quartal steigerte das Unternehmen den Umsatz im Vorjahresvergleich nur marginal auf 14,9 Millionen Dollar. Der Q1-Verlust (Ebitda) betrug 3,9 Millionen Dollar. Die Ursache für die schwachen Margen von Netlist: Ein Großteil der Einnahmen der Kalifornier stammt aus dem Verkauf von Produkten andere Unternehmen.

Die Bilanz des US-Herstellers sieht auch nicht wirklich berauschend aus: Zum Zeitpunkt des Q1-Berichts verfügte Netlist über keine nennenswerten Aktiva. Das positive Eigenkapital kam hauptsächlich durch eine Aktienemission im ersten Quartal zustande.

Milliardenschwere Entschädigungen?

Die Fundamentaldaten von Netlist spielen für die Privatanleger, die der Aktie derzeit Aufwind verleihen, offenbar eine untergeordnete Rolle. Stattdessen träumen sie davon, dass der Speicher-Produzent durch einen Vergleich im Rechtsstreit mit Google eine enorme Abfindungssumme kassieren wird. Darüber hinaus wird spekuliert, dass die Lizenzverträge in der Folge auch langfristig Einnahmen für den US-Hersteller generieren könnten.

Neben Google-Mutter Alphabet hat Netlist auch die Unternehmen Inphi und SK Hynix wegen Patentverletzungen verklagt. Mit Letzterem kam es im April 2020 zu einer überraschenden Einigung über eine 40-Millionen-Dollar-Ausgleichszahlung.

Die Kleinanleger hoffen nun, dass der Hybrid-Speicher-Spezialist im Gerichtsprozess gegen Alphabet einen ähnlichen Vergleich erzielen könnte – nur eben mit einer milliardenschweren Entschädigungszahlung. Die entsprechende Anhörung findet allerdings erst im März 2024 statt. Einige Reddit-User rechnen jedoch bereits vor, dass der Netlist-Kurs mit jeder Google-Milliarde um fünf Doller steigen müsste.

Marktbewertung nicht zu rechtfertigen

Unter dem Strich ist Netlist ein kleines Speichertechnologie-Unternehmen, das den Großteil seiner Einnahmen aus dem Verkauf von Produkten anderer Firmen bezieht. Die Finanzdaten sehen einfach nicht gut aus: Das Geschäft ist unrentabel, die Vermögenswerte sind gering und ein Pfad zur Profitabilität ist nicht zu erkennen. Die Mittel reichen nicht, um genug in Forschung und Entwicklung investieren zu können, um mit den großen Playern mithalten zu können.

Ich denke, dass die derzeitige Marktbewertung von etwa zwei Milliarden Dollar aus diesen Gründen nicht zu rechtfertigen ist. Um annähernd so viel wert zu sein, müsste das Unternehmen beim Vergleich mit Alphabet etwa das 25-fache der Summe aus dem SK-Hynix-Prozess erhalten – aus meiner Sicht ein sehr unwahrscheinlicher Ausgang.

Auch wenn die Aktie aus meiner Sicht ein Verkauf ist, würde ich von einer Short Position abraten, da die Leerverkaufsquote bereits über 40 Prozent liegt. Meiner Meinung nach ist es für Sie das Beste, die Netlist-Aktie vorerst einfach zu meiden.

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