Mit Zyklen zum Börsenerfolg 2020?

Die Börse ist immer ein Spiel mit Wahrscheinlichkeiten. Erfahrene Börsianer wissen, wie wichtig es ist, die Wahrscheinlichkeiten zu kennen, sie zu nutzen, und einen Vorteil durch Statistiken zu erlangen. Wichtiger aber noch, als die Wahrscheinlichkeiten zu kennen, ist es, sie zu verstehen. Wie überall im Leben gilt auch in der scheinbar chaotischen Börsenwelt: Wer die Muster und regelmäßigen Vorgänge kennt, ist den anderen Anlegern einen Schritt voraus. Wer sie aber auch versteht, ist meilenweit voraus.

Vielen Anlegern ist der Jahreszyklus an der Börse bekannt und sie sind mit ihm vertraut. So ist häufig nach einer Rallye bis in das Frühjahr hinein im Sommer eine Phase der Stagnation zu erwarten, die zu dem Sprichwort „Sell in May and go away“ geführt hat. Natürlich verläuft nicht jedes Jahr bilderbuchmäßig nach dieser einfachen Börsenregel, aber statistisch gesehen ist der Jahreszyklus immer eine Wette wert. Nach dem Sommer, meist in den Monaten September/ Oktober, setzt nach der Phase der Stagnation und Korrektur wieder eine kräftige Jahresendrallye ein. So war es auch in 2019.

Der Jahreszyklus an der Börse kann erklärt: Fundamentalfaktoren

So kommt es am Anfang eines Jahres aufgrund von Ausschüttungen zu einer Wiederanlage der Mittel – insbesondere im DAX wegen der starken Dividendensaison. Diese Liquiditätszuflüsse lassen die Börsen steigen. Häufig halten sich Anleger auch bis zum Auszahlungstermin mit Verkäufen zurück, um die Dividende zu vereinnahmen, was das Angebot reduziert. Die typische Seitwärtsphase im Sommer lässt sich vor allem mit einer verminderten Aktivität der Marktteilnehmer zur Urlaubssaison erklären.

Zum Ende des dritten Quartals neigen Manager häufig dazu, die Bilanzen nach unten zu korrigieren, um am Jahresende wieder ein positives Ergebnis präsentieren zu können. So drückt die „Earning Season“ Ende des dritten Quartals in den Monaten September/ Oktober auf die Märkte und unterstützt sie gleichzeitig zum Ende des Jahres. Auch zum Jahresende finden sich für die typische Rallye weitere Erklärungen, wie zum Beispiel Maßnahmen von Investmentgesellschaften, um die Performance Ihres Funds zu verbessern (Stichwort Window Dressing) sowie die positive Stimmung vor den Feiertagen und die Planung von Investitionsentscheidungen für das nächste Jahr.

Diese einfachen Faktoren reichen aus, um den nahezu jährlich wiederkehrenden Rhythmus an den Börsen zu verstehen. Schwieriger wird es aber, wenn wir uns andere Zyklen an den Börsen anschauen. Statistisch sind diese Zyklen auch klar zu erkennen, aber die Gründe sind meist nur schwer zu verstehen oder noch gar nicht bekannt.

Der Dekadenzyklus

Für den amerikanischen Aktienmarkt, insbesondere den Dow Jones, kann man über die letzten 100 Jahre einen klaren Dekadenzyklus ausmachen. Beim DAX, der typischerweise eine hohe Korrelation zum Dow Jones aufweist, den es aber erst seit 1988 gibt, ist es mangels unzureichenden Datenmaterials durchaus schwieriger, diesen Zyklus fest zu machen. Dennoch behelfen sich hier Statistiker mit einem kleinen Trick, indem sie einen hypothetischen DAX bis in die Fünfzigerjahre zurück rechnen. Anhand dieser Daten lässt sich ähnlich wie im Dow Jones genau der Dekadenzyklus ausmachen.

Betrachtet man die Daten dieses Zehn-Jahre-Zyklus, dann sind die ersten drei Jahre eines Jahrzehnts meist sehr performancearme, manchmal sogar schwache Börsenjahre. Nach einem Tief, meist im dritten Jahr, folgt eine Rallye bis zu einem Hoch im siebten Jahr. Zwischen dem siebten und dem neunten Jahr kommt es meist in einem Jahr zu einer heftigen Korrektur.

In der Summe werden aber wiederum Kursgewinne zum Ende eines Jahrzehnts erzielt. Dieses Verhalten konnten wir in den neunziger Jahren, den sogenannten „Nullerjahren“ und auch im letzten Jahrzehnt beobachten. Nach einem Top im Januar 2018 kam es zu einer heftigen Korrektur, das Jahr 2019 aber brachte den Markt wieder zurück in den positiven Bereich.

So gesehen erwartet uns in den nächsten drei Jahren ein Markt mit wenig, oder gar keiner Performance. Wir stehen am Beginn eines neuen Jahrzehntzyklus. Eine fundamentale Begründung für den Jahrzehntzyklus gibt es nicht. Von daher finden wir auch keine nachvollziehbare Begründung, warum sich die Beobachtung in der Zukunft wiederholen sollte.

Der Wahlzyklus

Doch außer den bereits genannten, gibt es noch einen drittem Zyklus. Statistisch lässt sich zusätzlich der sogenannte „Wahlzyklus“ erkennen. Während Jahre vor einer Wahl, wie das Jahr 2019, typischerweise sehr positiv verlaufen, hält diese Rallye im Wahljahr bis zum Sommer an. Unter alleiniger Berücksichtigung der oben genannten Zyklen erwartet uns für das Jahr 2020 eine Fortsetzung der Rallye bis in das Frühjahr, möglicherweise sogar bis in den Sommer hinein. Vor der Wahl und nach der Wahl kommt es dann zu einer Seitwärtsbewegung oder sogar zu Rückgängen bis in das Jahr 2024.

Ab dann sollten gemäß dem Jahrzehntzyklus der DAX und Dow Jones wieder in eine Rallye bis zum Ende des Jahrzehnts übergehen, zumindest bis 2027. Der Wahlzyklus wird durch einige Zusammenhänge erklärt. Es handelt sich aber lediglich um Vermutungen. So wird angenommen, dass  die amtierende Regierung mit Hilfe einer positiven Wirtschaftspolitik versucht, die Konjunktur anzukurbeln, um eine Wiederwahl des amtierenden Präsidenten zu erreichen. Dies führt im Vorwahljahr zu einer kräftigen Rallye an den Börsen, die bis kurz vor der Wahl anhält, bevor die Unsicherheit über den Wahlausgang die Investitionsfreude der Börsianer lähmt.

Kann man wirklich anhand dieser drei Zyklen eine seriöse Prognose treffen?

An dieser Stelle sollten wir uns daran erinnern, dass es nicht mehr reicht, die Wahrscheinlichkeiten zu kennen. Genauso wichtig ist es, Erklärungen zu haben, warum diese Zyklen die Börse prägen. Denn nur wenn diese Faktoren tatsächlich erkennbar sind, können auch die Zyklen ihre Wirkung entfalten.

Die erste große Schwachstelle der Zyklenprognose ist, dass man im Nachhinein auf einem bestimmten Chart immer mehrere sogenannte Umkehrpunkte von mehr oder weniger großer Signifikanz findet und natürlich mit ein wenig Interpretationsspielraum sich somit immer feste Abstände, die ähnlich groß sind, finden lassen. Das beweist zwar nicht, dass es keine Zyklen gibt, aber sollte den vernünftigen, rationalen, mathematisch vorgebildeten Anleger zu größter Vorsicht bei der Interpretation der Zyklen veranlassen.

Wir erinnern uns, dass der kluge Anleger nicht nur die Statistiken kennt, sondern sie versteht. Er kennt also die Ursachen für ein beobachtetes Muster. Die Börse ist kein Würfel mit immer wieder den gleichen Ausprägungen und einer festen Verteilung von Wahrscheinlichkeiten. Nur weil in der Vergangenheit bestimmte Häufigkeiten messbar waren, kann daraus keine Wahrscheinlichkeit für die Zukunft abgeleitet werden.

Gerd Gigerenzer hat das sehr schön mit der Geschichte der Truthahn Illusion erklärt. Wahrscheinlichkeiten nach Laplace definieren sich wie folgt: Anzahl der Ergebnisse bei denen das Ereignis eintritt, im Verhältnis zur Anzahl aller möglichen Ergebnisse. Betrachtet man nun die Historie des Dow Jones in den letzten 100 Jahren, dann gab es genau zehn Jahrzehnte und man kann für jedes einzelne Jahr messen, ob der Dow Jones in diesem Jahr positiv endete.

Nehmen wir an, im jeweils ersten Jahr eines Jahrzehnts (also 1900, 1910, 1920…) gab es im vergangenen Jahrhundert genau vier Jahre mit einer positiven Rendite und sechs Jahre mit einer negativen Rendite, dann beträgt die Gewinn-Wahrscheinlichkeit für ein Jahr mit einer 0 am Ende nach Laplace nur 40%. Man kann also davon ausgehen, dass wahrscheinlich das Jahr 2020 – wegen der 0 am Ende – eher negativ abschließen wird. Die Wahrscheinlichkeit dafür beträgt wegen der historischen Entwicklung genau 60%. Gäbe es nicht die besagte Truthahn Illusion:

Die Truthahn Illusion

Bei der Truthahn Illusion steht der Truthahn am ersten Tag seines Lebens vor einem Mann, der in seinen Stall kommt. Der Truthahn muss befürchten, dass dieser Mann ihn umbringt. Stattdessen füttert der Mann ihn aber. Nicht nur an diesem Tag, sondern auch am nächsten und am übernächsten, sowie an allen weiteren Tagen. Benutzen wir die Laplace Formel reduziert sich die Wahrscheinlichkeit, dass der Mann den Truthahn umbringt, aus Sicht des Truthahn mit jedem Tag, an dem er gefüttert wird.

Nach 99 Tagen beträgt die Wahrscheinlichkeit zu Überleben nahezu 100%, doch an diesem Tag ist leider Thanksgiving. Wer nun lediglich auf die Wahrscheinlichkeiten vertraut und die Ursache nicht kennt, der würde fälschlicherweise vorhersagen, dass das Risiko zu sterben für den Truthahn sehr gering ist. Wer allerdings die fundamentalen Daten kennt, weiß: der Truthahn wird mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit entgegen der Laplaceschen Wahrscheinlichkeit am Thanksgiving Tag sterben.

Wie geht es weiter?

Mit Blick auf das Jahr 2020 sollten Anleger deshalb nicht auf historische Wahrscheinlichkeiten achten, sondern ihren gesunden Menschenverstand nutzen. Geben Sie 2020 nichts auf die sogenannten Propheten, die anhand von Kursmustern ihnen jetzt schon sagen, wie das Jahr 2020 für die Börse wird.

Schauen Sie lieber auf die Gründe und die fundamentalen Daten, die in den vergangenen Jahren für das Kursfeuerwerk verantwortlich waren und überlegen Sie, ob diese Bedingungen auch 2020 noch Bestand haben werden oder ob neue Faktoren – positive oder negative – hinzukommen.

Die Rallye im Jahr 2019 wurde durch Zinssenkungen in den USA, eine sehr expansive Geldpolitik der amerikanischen Notenbank, ein Wirtschaftswachstum nach der Stagnation 2018, und vor allem auch durch Aktienrückkaufprogramme unterstützt. Die Stimmung der Anleger war stets optimistisch und ging von einer Einigung im Handelskonflikt mit China aus.

Vom Zufall spricht man, wenn man für ein einzelnes Ereignis oder das Zusammentreffen mehrerer Ereignisse keine kausale Erklärung finden kann. Wer glaubt, dass die Börse vollkommen zufällig ist, der muss die Börse als Glücksspiel betrachten. Ich persönlich bin überzeugt, dass es sehr wohl Ursachen gibt, die die Börse steuern. Wer diese kennt, ist klar im Vorteil. In meinen täglichen Marktkommentaren auf www.tradac.de bespreche ich diese, aber auch bei Finanztrends werde ich 2019 immer wieder Kommentare veröffentlichen, die wichtige Einflussfaktoren an der Börse besprechen.

Disclaimer

Die auf finanztrends.de angebotenen Beiträge dienen ausschließlich der Information. Die hier angebotenen Beiträge stellen zu keinem Zeitpunkt eine Kauf- beziehungsweise Verkaufsempfehlung dar. Sie sind nicht als Zusicherung von Kursentwicklungen der genannten Finanzinstrumente oder als Handlungsaufforderung zu verstehen. Der Erwerb von Wertpapieren ist risikoreich und birgt Risiken, die den Totalverlust des eingesetzten Kapitals bewirken können. Die auf finanztrends.de veröffentlichen Informationen ersetzen keine, auf individuelle Bedürfnisse ausgerichtete, fachkundige Anlageberatung. Es wird keinerlei Haftung oder Garantie für die Aktualität, Richtigkeit, Angemessenheit und Vollständigkeit der zur Verfügung gestellten Informationen sowie für Vermögensschäden übernommen. finanztrends.de hat auf die veröffentlichten Inhalte keinen Einfluss und vor Veröffentlichung sämtlicher Beiträge keine Kenntnis über Inhalt und Gegenstand dieser. Die Veröffentlichung der namentlich gekennzeichneten Beiträge erfolgt eigenverantwortlich durch Gastkommentatoren, Nachrichtenagenturen o.ä. Demzufolge kann bezüglich der Inhalte der Beiträge nicht von Anlageinteressen von finanztrends.de und/ oder seinen Mitarbeitern oder Organen zu sprechen sein. Die Gastkommentatoren, Nachrichtenagenturen usw. gehören nicht der Redaktion von finanztrends.de an. Ihre Meinungen spiegeln nicht die Meinungen und Auffassungen von finanztrends.de und deren Mitarbeitern wider. (Ausführlicher Disclaimer)