Lieber Investor,
chinesische Aktien, das war zunächst die Geschichte vom endlosen Boom, der alle reich machen würde. Weil einige Insider nicht schnell genug reich werden konnten und die Bilanzen fälschten, folgte schon bald die Zeit der Skandale. Am Ende hatten die Anleger zwar eine Fülle von Zahlen, aber ob sie diesen Zahlen auch trauen konnten, wussten sie im Grunde nie.
So wurden chinesische Unternehmen zu dem zweischneidigen Schwert, das sie auch heute noch sind: einerseits sehr interessant und aussichtsreich, andererseits ein für Ausländer nur sehr schwer zu durchschauendes Gebilde. Wer um dieses Risiko weiß und es nicht fürchtet, kann in Aktien aus dem Reich der Mitte investieren. Alle anderen werden vornehme Zurückhaltung üben.
Das Risiko könnte in den kommenden Monaten geringer werden, zumindest, was die Kursentwicklung jener Aktien betrifft, die in den maßgebenden Indizes enthalten sind. Ganz vorne auf der Liste stehen die chinesischen A-Aktien. Viele Experten erwarten, dass sie in näherer Zukunft zu den Gewinnern zählen werden.
Sie heute zu kaufen, ist in erster Linie keine Wette auf einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung im Reich der Mitte, sondern eine Spekulation auf den Herdentrieb der Anleger. Diese haben, wenn sie bislang in chinesische Aktien investieren wollten, auf Aktien aus Hongkong oder auf festlandchinesische Aktien, die in den USA gehandelt werden, zurückgegriffen.
Das Tor zur Welt öffnet sich
Ihnen gegenüber spielten – zumindest für die ausländischen Investoren – die in Shanghai und Shenzhen gehandelten A-Aktien nur eine untergeordnete Rolle. Man konnte zwar in sie investieren, hatte aber oftmals keinen guten Grund dafür, weil zu den A-Aktien viele Unternehmen gehören, die vom Staat kontrolliert werden und daher oftmals nicht profitabel sind.
Der wichtigste Grund für die Zurückhaltung der institutionellen Anleger lag jedoch darin, dass die A-Aktien, abgesehen von den chinesischen Indizes in keinem der wesentlichen Indizes enthalten waren. Weil die Zusammenstellung dieser Indizes von den institutionellen Investoren gerne nachgebildet wird, fanden die A-Aktien kaum Eingang in die ausländischen Portfolios.
Im nächsten Jahr sollte sich daran einiges ändern, denn MSCI, der maßgebende Indexanbieter, wird im Mai 2018 damit beginnen, eine Reihe von A-Aktien in seine Indexprodukte aufzunehmen. Die geplante Änderung soll nicht schlagartig, sondern sukzessive und kontinuierlich erfolgen. MSCI will mit dieser Umstellung der stark gewachsenen Bedeutung der chinesischen Wirtschaft innerhalb der Weltwirtschaft Rechnung tragen.
Der Anteil chinesischer Aktien in den internationalen Depots wird deshalb in den kommenden Jahren ständig steigen. Beginnen mit der Umstellung werden jene Fonds und ETFs, die einen Index eins zu eins abbilden. Ihnen bleibt allein schon aufgrund ihrer Satzung gar keine andere Wahl, als die von MSCI aus den jeweiligen Indizes entfernten Aktien durch die neu aufgenommenen chinesischen A-Aktien zu ersetzen.
Vergleichsmaßstäbe prägen das Anlageverhalten
Langfristig folgen werden aber auch die aktiv gemanagten Fonds und Portfolios. Auch sie werden um die gestiegene Bedeutung der A-Aktien nicht herumkommen. Selbst wenn die Manager die chinesischen Aktien nicht mögen und sie aus ihren Depots fernhalten möchten, werden sie durch die Indexumstellungen dennoch gezwungen, sich intensiv mit ihnen auseinanderzusetzen.
Der Erfolg eines jeden Fondsmanagers wird kontinuierlich gemessen, wobei stets ein Index als Vergleichsmaßstab dient. Wer nicht schlechter als sein Vergleichsindex abschneiden will, bildet den Index deshalb gerne nach bzw. orientiert sich in seinen Anlageentscheidungen sehr stark an ihm. Die Fondsmanager können es sich daher nicht leisten, die neue Gewichtung der Indizes zu ignorieren. Sie müssen sich ab Mai nächsten Jahres deshalb auch intensiv mit den chinesischen A-Aktien beschäftigen.
Wie intensiv diese Beschäftigung ausfallen wird, das verdeutlicht ein Blick auf die aktuellen Zahlen. Zurzeit haben chinesische Aktien im MSCI-Weltindex ein Gewicht von nur etwas mehr als drei Prozent. Das ist zu wenig, wenn man bedenkt, dass Chinas Anteil am weltweiten Bruttoinlandsprodukt bei immerhin 15 Prozent liegt. Hier offenbart sich ein krasses Missverhältnis zu den USA, denn amerikanische Aktien sind im MSCI-Weltindex noch zu über 50 Prozent vertreten, obwohl die Vereinigten Staaten nur auf etwas mehr ein Viertel des weltweiten BIP kommen.
Besonders gravierend werden die Veränderungen in den Indizes sein, welche die Aktien der Schwellenländer repräsentieren. China hatte im Mai 2017 im MSCI-Emerging-Markets-Index ein Gewicht von 27,7 Prozent. Es wird nach Abschluss der Umstellungen auf 45 Prozent angestiegen sein.
Wer als Anleger von den zu erwartenden kräftigen Umschichtungen profitieren will, der investiert bereits vor der Masse der institutionellen Anleger in die chinesischen A-Aktien. Sofern die wirtschaftliche Entwicklung im Reich der Mitte ihm keinen Strich durch die Rechnung macht, sollte die Investition sich rechnen, weil die institutionellen Anleger ab Mai 2018 diesem Schritt folgen müssen.