Gebäude mit Historie haben es mir schon immer angetan. Deswegen freute es mich auch besonders, jahrelang in einem Haus zu wohnen, in dem in 1913 Aston Martin gegründet wurde. Ein früherer Pferdestall im Londoner Stadtteil Chelsea wurde von den Aston Martin-Gründern als Werkstatt benutzt, bevor es später in ein Wohngebäude umgewandelt wurde. In den 70er Jahren lebte der spätere McLaren-Boss Ron Dennis in dem Haus, Anfang der 2000er war es dann mein Zuhause.
Ich bekam manchmal buchstäblich Gänsehaut, wenn ich mir vor Augen führte, dass der erste je gebaute Aston Martin mitten in meinem Wohnzimmer den ersten Heuler von sich ließ.
Seither habe ich, wie Sie nicht überraschen wird, ein persönliches Interesse an Aston Martin.
Als ich über die Geschichte des Unternehmens las, lernte ich auch, dass der berühmte englische Autobauer in seinen ersten hundert Jahren gleich sieben Mal in Bankrott ging. Tolle Autos bauen zu können, bedeutet halt nicht automatisch, auch finanziell erfolgreich zu sein.
Aston Martin ist seither auch ein Synonym für die finanziellen Aufs und Abs der Automobilbranche. Insofern war ich umso überraschter, dass die Gesellschaft kürzlich ein erfolgreiches IPO durchführte. Das Unternehmen platzierte zu abenteuerlichen Bewertungsrelationen eine Emission im Volumen von über 1 Mrd. Britische Pfund (1 Britisches Pfund = 1,14 Euro).
Die Zeiten, zu denen Aston Martin von einer finanziellen Katastrophe zur nächsten stolperte, schienen vorbei zu sein. Mit der Börsennotiz, strategischen Investoren und großem Mediengetöse rund um die Erstplatzierung sollte die Traditionsfirma eigentlich geniale Aussichten haben.
So dachte man, bis der Kurs in den ersten vier Wochen nach Notizaufnahme erst einmal um 30% abschmierte.
Was war geschehen, und wieso können Anleger am Beispiel von Aston Martin einige grundlegende Dinge über IPOs lernen?
Gute IPOs und schlechte IPOs
Ein Börsengang kann eine lukrative Gelegenheit sein, sich an einem Unternehmen zu beteiligen, an dessen Wachstumschancen das breite Anlegerpublikum bislang nicht partizipieren konnte. Dies ist insbesondere dann regelmäßig der Fall, wenn ein Unternehmen neue Aktien ausgibt und dadurch zusätzliches Kapital in die eigene Kasse holt.
Allerdings können Börsengänge auch ein Mechanismus dafür sein, Altaktionären eine Möglichkeit zum Verkauf ihrer Aktien zu geben. Wenn ein Unternehmen für ein IPO keine neuen Aktien ausgibt, sondern lediglich bestehende Aktien aus dem Besitz der bisherigen Großaktionäre umplatziert, landet das Kapital der Zeichner nicht beim Unternehmen, sondern bei den abgebenden Aktionären.
Die letztgenannte Vorgehensweise ist zwar nicht per se verwerflich.
Allerdings muss schon die Frage gestellt werden, warum die Altaktionäre aussteigen wollen. Immerhin kennen die vorhandenen Aktionäre eines Unternehmens die Interna einer Gesellschaft immer noch am besten. Wenn die Altaktionäre verkaufen möchten, dann muss die Frage gestellt werden: „Warum?“
Im Fall von Aston Martin sah die Grundkonstellation folgendermaßen aus:
- Zumindest oberflächlich betrachtet hat die Gesellschaft einen beeindruckenden Turnaround hingelegt. Während im Jahr 2016 noch ein Verlust von 163 Mio. Pfund anfiel, schaffte Aston Martin im Jahr 2017 einen Gewinn von 87 Mio. Pfund. Zudem gibt es allerlei Wachstumspläne. So wird in Wales eine neue Produktionsstätte für die Produktion von SUVs gebaut, was maßgeblich dazu beitragen soll, den Konzernumsatz bis 2020 um 50% zu steigern.
- Die Gesellschaft hat relative hohe Schulden. Per 30. Juni 2018 stand einer Schuldenlast von 857 Mio. Pfund nur ein Eigenkapital von 153 Mio. Pfund gegenüber. Anders ausgedrückt, mit einem einzigen miesen Jahr wie 2016 wäre das gesamte Eigenkapital futsch.
- Alle im Rahmen des IPOs platzierten Aktien stammten aus dem Besitz der beiden einzigen bisherigen Aktionäre. Der Verkaufserlös aus der Platzierung geht an zwei Private Equity Unternehmen in Italien und Kuwait. Kein einziges Pfund kommt dem Unternehmen zugute.
Insofern gab es schon oberflächlich einige Warnzeichen dafür, dass dieses IPO vielleicht nicht ganz so gut war, wie es die Marketingmaterialien Glauben machen wollten.
Goldwerte Informationen aus langweiligen Dokumenten
Es gibt grundsätzlich immer zwei Möglichkeiten, ein Unternehmen zu analysieren.
Sie können sich PowerPoint-Präsentationen, Videos und ähnliche Marketingmaterialien anschauen.
Oder aber Sie lesen sich durch die meist hunderte von Seiten umfassenden, in Juristensprache geschriebenen Platzierungsdokumente.
Es gibt immer weniger Leute, die sich die Zeit nehmen (und die Kenntnisse aneignen), um sich durch die ausführlicheren Unternehmensunterlagen durchzuarbeiten. Gerade in diesen Unterlagen gibt es aber immer wieder die entscheidenden Informationen für eine solide Anlageentscheidung.
Im Fall von Aston Martin waren jedenfalls alle Warnzeichen leicht zu finden – vorausgesetzt, man nahm sich die Zeit zum Lesen.
Ein Unternehmen mit praktisch perfekter Kenntnis der Zukunft (behaupten sie jedenfalls)
In den Platzierungsunterlagen von Aston Martin finden Sie den Hinweis, dass das Unternehmen sage und schreibe 95% seiner Forschungs- und Entwicklungskosten in der Bilanz aktiviert.
Anders ausgedrückt, Aston Martin geht davon aus, dass 95% seiner Forschung- und Entwicklungsarbeit zu vermarktbaren Produkten führt.
Im internationalen Durchschnitt aktiviert die Autobranche nur 40% ihrer Forschungs- und Entwicklungskosten. Denn wer schafft es schon, nahezu die gesamte Forschungs- und Entwicklungsarbeit in erfolgreiche Produkte umzuwandeln?
Schon der gesunde Menschenverstand sagt einem, dass hier etwas im Argen liegt.
Die kleine Autofirma Aston Martin, die gerade erst aus dem Turnaround kommt, in einer Nische operiert und schon sieben Mal bankrott war, will jetzt der weltweit erfolgreichste Autokonzern sein, was den Erfolg der Forschungs- und Entwicklungsarbeit anbelangt.
Ein Schelm, wer dabei Böses denkt.
Abenteuerliche Bilanzierung – aber natürlich legal
Unnötig zu erwähnen, dass die Bilanzierung von Aston Martin dank der emsigen Häkchensetzarbeit von Buchhaltern, Anwälten und Wirtschaftsprüfern legal ist.
Doch wie realistisch sind diese Annahmen im realen Wirtschaftsleben?
Wer seine Bücher auf Basis derart abenteuerlicher Annahmen führt, wird auch anderweitig alle möglichen Tricks anwenden, um die Gesellschaft nach außen hin so gut wie möglich aussehen zu lassen.
Ob und wann dafür eine Rechnung folgt, ist eine andere Frage. So muss Aston Martin nunmehr in sieben Jahren sieben neue Modelle erfolgreich am Markt lancieren, um die Aktivierung eines derart hohen Anteils der Forschungs- und Entwicklungskosten zu rechtfertigen. Floppt ein Modell, folgen außerordentliche Abschreibungen.
Unnötig zu erwähnen, dass die Börse diese Annahmen einfach nicht für realistisch halt. Deshalb dann auch der Kurssturz um fast ein Drittel. Für ein großes IPO war das eine geradezu katastrophal schlechte Anfangsperformance.
Wieso gibt es keine Sicherungsmaßnahmen gegen solche Spielchen?
In einem ordentlich geführten Unternehmen würde der Aufsichtsrat solche Bilanztricksereien hinterfragen und stoppen. Nicht so bei Aston Martin. Dort bestand der Aufsichtsrat bis vor kurzem nämlich ausschließlich aus Vertretern der beiden einzigen Aktionäre.
Erst kurz vor dem Börsengang wurde der Aufsichtsrat neu aufgestellt. Als die neuen, unabhängigen Aufsichtsräte ihre Posten bezogen, waren die bisherige Bilanzierung und die Unterlagen für den Börsengang aber bereits alle abgezeichnet.
Ganz klar, hier wurde bewusst und gezielt darauf hingearbeitet, ein mit heißer Nadel gestricktes IPO durchzuführen.
Auch der CEO war fest in das Vorhaben eingespannt. Wer es bis auf Seite 183 der Notierungsunterlagen schafft, der kann darüber lesen, wie der CEO einen Bonus erhält, der auch auf dem Platzierungserlös basiert, den die Altaktionäre für den Verkauf ihrer Aktien erhalten.
Emissionszeichner sind jetzt die Leidtragenden
Die Platzierung fand zu 19 Pfund pro Aktie statt. Das Unternehmen hatte sogar versucht, 22 Pfund je Aktie rauszuholen. Das stellte sich dann aber trotz der glänzenden Marketingmaschinerie der Emission als nicht erreichbar heraus.
Nach der Erstnotiz fiel die Aktie dann auf 13,60 Pfund, erholte sich aber zuletzt wieder auf rund 15 Pfund.
Andy Palmer, der CEO von Aston Martin, gibt unterdessen Durchhalteparolen aus:
“Wir sind nicht besonders darüber beunruhigt, was der Aktienkurs in dieser Anfangsphase macht.”
„Wir betrachten das alles langfristig.“
„Bla bla bla.“
Seine Mitarbeiter dürften das alles ein bisschen anders sehen. Auch die Angestellten waren vom Unternehmen dazu eingeladen worden, in die Emission zu investieren. Ohne Frage, Aston Martin wollte erreichen, dass die eigenen Mitarbeiter nicht nur zeichnen, sondern auch ihren Familien- und Freundeskreis aktivieren, auf Social Media posten, und generell zum Marketinghype der überteuerten Emission beitragen. Dito für die Eigentümer von Aston Martin Autos, die ebenfalls eingeladen wurden, Aktien zu zeichnen.
Die Kosten für den gesamte Emissions-Hype: 50 Mio. Pfund.
Profitiert haben davon bislang einzig die beiden Großaktionäre aus Italien und Kuwait, sowie der CEO und einige andere Führungskräfte.
Lektionen für Anleger
Wenn Private Equity Unternehmen oder andere Finanzanleger ihre Aktien verkaufen, sollten Sie doppelt und dreifach vorsichtig sein, bevor Sie kaufen.
Bei Unternehmen mit bekannten, glamourösen Markennamen wird oft der Markenname missbraucht, um bei Anlegern Vertrauen zu schaffen. Ohne Frage, wäre Aston Martin nicht auch die bevorzugte Marke von James Bond, hätte diese Emission in dieser Form sicher nicht stattgefunden.
Bei Emissionen, wie bei allen anderen Investments, gilt: „Caveat emptor“.
Auch, wenn Sie dafür dann einige hundert Seiten langweilige Unterlagen lesen müssen… Was Sie sich natürlich einfach sparen können, wenn Sie (wie gerade jetzt), den ein oder anderen nützlichen Finanzblog lesen!
Beste Grüsse
Swen Lorenz
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