Der Westen erblickt in sehr harten Sanktionen das Instrument, um Russland
für den militärischen Angriff auf die Ukraine zu bestrafen und zur
Umkehr zu bewegen oder gar einen „Regime Change“ herbeizuführen.
So sehr man auch hoffen mag, dass dadurch Frieden geschaffen wird: Die ungewollten
Nebenwirkungen könnten noch sehr schmerzhaft werden, vor
allem auch weil China nicht mitzieht.
SANKTIONEN
Als Reaktion auf die militärische Invasion Russlands in die Ukraine haben die Staaten
des Westens beispiellos harte Sanktionen auf den Weg gebracht. Dazu zählen
zum Beispiel der Ausschluss von russischen Banken vom internationalen Zahlungssystem
SWIFT, das Einfrieren der russischen Währungsreserven im Ausland, Verbote
für russische Emittenten, Kapital im Ausland aufzunehmen, Ausfuhrverbote
für Güter, die westliche Firmen nach Russland liefern, Sperrung des Lufttraums für
russische Flugzeuge.
Zudem wurden gezielt Personen auf die Sanktionsliste der
USA, EU und Großbritannien gesetzt: Präsident Vladimir Putin, Außenminister Sergej
Lavrov, weitere russische Minister sowie auch eine große Zahl von Oligarchen
und Vorstände russischer Banken und Unternehmen
Ausländische Investoren hielten Ende 2021 russische Wertpapiere von knapp 150
Mrd. US-Dollar: In US-Dollar denominierte Schulden in Höhe von 20 Mrd. USD und 41 Mrd. US-Dollar in Rubel-denominierten Kreditpapieren. Hinzu kommen russische
Aktien in Höhe von etwa 86 Mrd. US-Dollar. Der Handel für russische Wertpapiere
wurde eingestellt – beispielsweise setzte die Deutsche Börse AG den Handel
für 16 russische Firmen aus (darunter Aeroflot, Rosneft, Sberbank, VTB und
VEB Finance).
Die NASDAQ und die New York Stock Exchange haben ebenfalls
den Handel für Wertpapiere aus Russland beendet. Investoren der von den Sanktionen
betroffenen Wertpapieren können diese nun im regulären Börsenhandel
nicht mehr verkaufen.
Euroclear und Clearstream, die beiden in Belgien operierenden Verwahr- und Zahlungsabwicklungs-Giganten, haben erklärt, dass sie ab dem 3. März 2024 keine
Rubel-Transaktionen, die außerhalb Russlands getätigt werden, mehr durchführen
werden.
Zudem hat der Index-Anbieter MSCI am 28. Februar 2024 verkündet, russische
Wertpapiere könnten aus den von ihm veröffentlichten Kapitalmarktindizes
herausgenommen werden, da die russischen Wertpapiere aufgrund der Sanktionen
nicht mehr handelbar und damit de facto für Investoren „uninvestierbar“ geworden
sind. Das für sich genommen, erwirkt in der Praxis ein de facto Ende für
den Zufluss von Auslandskapital nach Russland.
Es ist damit zu rechnen, dass Russland angesichts der Sanktionen den Schuldendienst
auf seine in Auslandswährung denominierten Schulden aussetzt. Allein
schon deshalb, weil schätzungsweise die Hälfte der russischen Währungsreserven
in Währungsräumen gehalten wird, die sich den Russlandsanktionen angeschlossen
haben, und daher den russischen Schuldnern nicht verfügbar sind; und das
Zurückhalten von Auslandswährungen wird unter den gegenwärtigen Umständen
für Russland vermutlich wichtiger sein als die Begleichung des Schuldendienstes.
Die Rating-Firma Standard & Poor‘s hat russische Schulden in Fremdwährung von
bisher ‚BB+‘ auf ‚BBB-‘ heruntergestuft – und ihnen damit „Junk“-Status verliehen.
Moody’s Investor Service hat angedeutet, in gleicher Weise zu reagieren.
Hinzu kommen viele weitere Maßnahmen, die sich gegen Russland und seine Bevölkerung
richten: So hat Boeing verkündet, keine russischen Flugzeuge mehr zu
warten; große Ölgesellschaften wie MobilExxon, Shell und BP ziehen sich aus dem
russischen Markt zurück; Redereien (HapagLloyd, Mersk) laufen keine russischen
Häfen mehr an; Läden und Barbesitzer entfernen russischen Wodka aus ihrem Angebot;
die FIFA will Russland von der Fußball-WM suspendieren; in Westeuropa
wird dem russischen Dirigenten Valery Gergiev die Zusammenarbeit aufgekündigt,
er verliert seine Stelle als Chef der Münchener Philharmoniker; die Opernsängerin
Anna Netrebko sieht sich gezwungen, ihre Konzerte abzusagen; Diplomaten verlassen
den Raum, als der russische Außenminister Lavrov vor dem UN-Menschenrechtsrat
spricht. Die Sanktionen bergen also auch Elemente der Ächtung.
DOSIERUNG
Die bislang erlassenen Sanktionen zertrennen nahezu vollends die bestehenden
Handels- und Finanzbeziehungen zwischen Russland und der westlichen Welt. Das
verbindenden Elemente, die Arbeitsteilung und der Handel, werden dadurch zerstört.
Dazu muss man wissen, dass die Arbeitsteilung, national wie international,
die Menschen miteinander friedvoll verbindet.
Wer miteinander arbeitsteilig kooperiert, der erblickt in seinem Gegenüber keinen Konkurrenten, keinen Gegner,
sondern jemanden, der ihm dienlich ist, um seine Lebensherausforderungen besser
bewältigen zu können. So gesehen sind Arbeitsteilung und Handel über Grenzen
hinweg im wahrsten Sinne des Wortes ein „Friedensprogramm“.
Doch die Welt, die wir heute vorfinden, ist leider kein System freier Märkte. Vielmehr
greifen die Staaten auf vielfältige Weise und immer stärker in das Wirtschafts-
und Gesellschaftssystem ein. Sie betreiben dabei nicht nur „Innenpolitik“,
sondern vor allem auch „Außenpolitik“ und sorgen dabei bekanntlich für Probleme.
Und so ist der Ukraine-Russland-Konflikte auch kein Ergebnis der freien
Märkte, sondern rührt aus „Sicherheitsinteressen“, aus „Sonderinteressen“ der
Staaten. Nicht die breite Bevölkerungen stehen sich feindlich gegenüber, sondern
die Staaten beziehungsweise ihre Repräsentanten, die nicht selten eigene, nicht
die Interessen ihrer Bevölkerungen verfolgen. Doch dazu später mehr.
An dieser Stelle ist zunächst noch anzumerken, dass die Befürworter der harten
Sanktionen vermutlich hoffen, dass sie mit derartigen Maßnahmen den Kreml zum
Beenden seiner Kriegstätigkeit zwingen können – weil die mit den Sanktionen verbundenen
Kosten schlichtweg zu hoch werden; dass beispielsweise die wirtschaftliche
Not, die die Sanktionen hervorrufen, die Putin-Regierung zur Aufgabe der
militärischen Handlungen anhalten; oder dass die Sanktionen das Umfeld von Präsident Putin finanziell so stark schädigen, dass sie ihm ihre Gefolgschaft aufkündigen.
Mit den bis jetzt erlassenen Sanktionen ist so gesehen also auch ein möglicher
„Regime Change“ angelegt.
Die Russlandsanktionen des Westens sind nicht nur sehr hart im Vergleich zur bisherigen
Sanktionspraxis, sondern sie sind vermutlich auch härter als Präsident Putin
es erwartet hat. Das Kalkül, dass sich hinter den Sanktionen des Westens verbirgt,
lässt sich als eine Form des „escalate to de-escalate“ bezeichnen: Der Widersacher
erfährt eine Reaktion von seinem Gegenspieler, die unerwartet hart ausfällt, und
die ihn dazu anhalten soll, sein bisheriges Treiben zu beenden.
Doch die damit verbundene Gefahr besteht darin, dass sich die Aggressionen weiter hochschaukelt:
Auf Vergeltung folgt eine noch aggressivere Vergeltung, und die Situation
für alle Beteiligten wird nicht etwa entschärft, sondern sie verschlimmert sich. Das
ist durchaus gefahrvoll in der aktuellen Situation: Russland ist eine Atommacht.
Eine solche Situation würde etwa dann entstehen, wenn die russische Seite durch
(aus ihrer Sicht) unerwartet harte Sanktionen in eine Position gedrängt wird, von
der aus sie, egal was sie macht, keine Verbesserung ihrer Lage mehr erwarten
kann, wenn selbst ein Einlenken keine Verbesserung der eigenen Position mehr
verspricht.
Dann nehmen die Kosten, die sie für eine weitere Eskalierung des Konflikts
zu tragen hat, quasi ab, und das schlimmste Szenario wird heraufbeschworen:
ein unerbittlicher Vernichtungsfeldzug, der als Lösung nur noch die unbedingte
Kapitulation des Gegners kennt, der einen Friedensschluss in noch weitere
Ferne verschiebt.
KOLLATERALSCHÄDEN
Ein Anhalten der Kriegshandlungen in der Ukraine, verbunden mit einem Fortdauern
der Sanktionen gegen Russland hätte weitreichende Folgen, nicht für die Menschen
in der Ukraine und Russland, sondern auch für die Menschen in Europa und
in weiten Teile der Welt. Russland, ein Land mit einer geschätzten Gesamtbevölkerung
von 144 Millionen Menschen, aus der internationalen Arbeitsteilung zu
verbannen, wird ganz sicher gewaltige Konsequenzen haben. Nachstehend sind
einige dieser möglichen Folgen kurz skizziert.
(1) Die Ukraine ist, zusammen mit Russland, gesehen einer der Hauptproduzenten
und –exporteur für Nahrungsmittel weltweit. Vor allem Entwicklungsländer
und Länder der Dritten Welt hängen stark von Nahrungsmittelimporten aus Russland
ab (siehe nachstehende Abbildung). Fortgesetzte Kriegshandlungen in der
Ukraine und Russland drohen, den Ernteausstoß und das Marktangebot (durch
Arbeitskraftausfall, Maschinen- und Transportknappheit etc.) zu verringern.
Angebotsverknappung und steigende Nahrungsmittelpreise wären weltweit zu spüren:
Nahrungsmittel verteuern sich. Besonders hart wären die Menschen in den
ärmeren Regionen der Welt getroffen. Verteuerung und Verknappung von Nahrungsmitteln
führen bekanntlich zu sozialen und politischen Unruhen, lösen
Flüchtlingsbewegungen aus.
Russland ist zudem ein bedeutender Lieferant für viele (Industrie-)Rohstoffe auf
den Weltmärkten. Dazu zählen nicht nur Öl und Gas, sondern auch Eisen und
Stahl, Edelmetalle (Gold, Palladium), Holz, Aluminium(-produkte) und vor allem
auch Düngemittel (Stickstoff, Phosphor und Kali).
Russland, das 2/3 des weltweiten Düngemittels Ammoniumnitrat (ein Salz, das sich aus Ammoniak und Salpetersäure
bildet) produziert, und das vorwiegend von Ländern auf der nördlichen
Erdhalbkugel importiert wird, hat mittlerweile ein Exportverbot für Ammoniumnitrat
von Februar bis Anfang April 2024 verhängt. Ist dieses Düngemittel nicht
verfügbar, ist mit einem empfindlichen Rückgang des Ernteertrages und einer Verschärfung
der Nahrungsmittelverteuerung zu rechnen.
(2) Die „Grüne Politik“ sorgt in der westlichen Welt schon jetzt für eine drastische
Verteuerung der Energie. Sollte Russland seine Öl- und Gaslieferungen nach
Europa drosseln oder gar einstellen, könnte daraus ein überaus schwerer Energiepreisschock
erwachsen, der auch die Versorgungssicherheit nicht mehr gewährleisten
würde und die Volkswirtschaften in eine mitunter schwere Rezession schicken
könnte.
So mancher Betrieb würde aufgrund steigender Produktionskosten
unrentabel und aus dem Markt gedrängt. Steigenden Energiepreise würden zudem früher oder später nahezu alle Güterpreise in die Höhe befördern. Das wiederum
würde die Kaufkraft des Geldes und damit die realen Einkommen der Menschen,
ihren materiellen Wohlstand zusätzlich herabsetzen.
(3) Die wirtschaftlichen Erschütterungen des Ukraine-Russland-Krieges haben
zudem das Potenzial, das ungedeckte Geldsystem ins Wanken zu bringen, seine
Schwach- und Bruchstellen, die bisher immer wieder übertüncht und notdürftig
geflickt wurden, schonungslos zum Vorschein bringen. So könnte durch einen
Energiepreisschock eine Rezession bei gleichzeitig steigender Inflation eintreten.
Um die drohende Arbeitslosigkeit und Kreditausfälle auf breiter Front zu verhindern
und vor allem die Staaten liquide zu halten, würde die Europäische Zentralbank
(EZB) vermutlich die Zinsen weiter auf extrem niedrigen Niveau halten und
die Geldmenge noch stärker als bislang ausweiten.
Die steigende Geldmenge wiederum treibt die Inflation noch stärker in die Höhe.
Eine Situation entsteht, in der der Kaufkraftruin des Euro nur noch verhindert werden
kann, wenn die Leitzinsen stark angezogen werden, die Realzinsen (das heißt
Nominalzinsen abzüglich der Inflation) wieder merklich über die Nulllinie gehoben
werden und das Geldmengenwachstum abgebremst wird.
Doch genau das ist fürdas ungedeckte Geldsystem eine geradezu toxische Mischung. Sie stellt die Zentralbank
vor die Entscheidung, entweder sofort Rezession und Arbeitslosigkeit als
Folge der Inflationsbeendigung hinzunehmen oder zumindest für eine gewisse
Zeit Rezession und Arbeitslosigkeit durch fortgesetzte Inflation abzumildern.
In solch einer Entscheidungssituation wird die Zentralbank sehr wahrscheinlich
den Weg der Inflation beschreiten: In der Stunde der Not erscheint die Inflationspolitik
für Regierende und auch Regierte als die Politik des vergleichbar kleinsten
Übels. Zumindest ist es das, was sich aus der unerfreulichen Geschichte des ungedeckten
Geldes ableiten lässt.
CHINA
Besonders auffällig ist in dieser Krisensituation, dass Chinas Einwürfe zum Ukraine-
Russland-Kon flikt im Westen nur auf relativ wenig Aufmerksamkeit stoßen. Am
28. Februar 2024 ließ der chinesische Außenminister Wang Yi verlauten (wie China
Daily berichtete), dass China Sanktionen zur Lösung von Konflikten missbillige,
wenn diese nicht durch internationales Recht begründet seien. Die Erfahrung zeige,
so Wang Yi, dass Sanktionen keine Probleme lösen, sondern dass sie neue
schaffen würden. Am vergangenen Freitag, den 25. Februar 2024, hatte sich China,
zusammen mit Indien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (UAE), bei ei –
ner gegen den Einmarsch Russlands gerichteten Resolution im UN-Sicherheitsrat
der Stimme enthalten. Diplomaten haben das als Erfolg gewertet, Russland zu iso –
lieren, einen Keil zwischen Russland und China zu treiben. Doch ist das eine treffende Interpretation?
Chinas Außenminister Wan Yi scheint eine Schlichterrolle seines Landes vorsehen
zu wollen: Was die Frage der europäischen Sicherheit anbelangt, so sollten ihm
zufolge die legitimen Besorgnisse aller Länder berücksichtigt werden, und er fügte
hinzu, dass nach fünf Erweiterungsrunden der Nato nach Osten Russlands legitime
Sicherheitsinteressen angemessen berücksichtigt werden sollten. China unterstützt,
so Wan Yi, dass die NATO, die EU und Russland den Dialog wiederaufnehmen
und versuchen, eine balancierte, effektive und tragfähige Sicherheitsarchitektur
in Europa zu bauen, um dauerhaft Frieden und Stabilität auf dem Kontinent
zu erreichen.
Selbstverständlich hat China, hat seine kommunistische Parteiführung dabei auch
eigene und selbstbezogene geopolitische Interessen. Doch diese Tatsache sollte
die Menschen im Westen nicht kurzsichtig übersehen zu lassen, dass Russland in
China einen mächtigen Verbündeten findet – weil Russland mit einem gewaltigen
Angebot an natürlichen Ressourcen Chinas wirtschaftlichen und militärisch-politischen
Aufstieg befördern kann. China wird seine Unterstützung für Putins Russland
daher nicht aufgeben wollen – schon einfach deshalb nicht, weil sich bei
einem „Regime Change“ sonst der Westen Russlands Ressourcenreichtum unter
den Nagel reißen könnte – zum Nachteil Chinas.
Nein, China wird kein Interesse daran haben, dass die Putin-Regierung stürzt –
und das scheint man mit den Sanktionen, gerade mit ihrer Ausrichtung auf die
Oligarchen, vermutlich durchaus zu beabsichtigen. Eine liberale Demokratie in
Russland, die sich dem Westen zuwendet, wird China wohl kaum befürworten.
China wird daher sehr wahrscheinlich Russland helfen, den Sanktionen zumindest
teilweise zu entgehen. Etwa durch fortgesetzte und erhöhte Abnahme von Öl und
Gas und anderen Rohstoffen. Die Kooperationspläne der beiden Staaten sind
langfristig ausgerichtet: Russland und China sind zum Beispiel dabei, einen Vertrag
über den Bau der gewaltigen Gaspipeline „Soyuz Vostok“ zu beschließen,
die über die Mongolei pro Jahr 50 Milliarden Kubikmeter Gas nach China transportieren
soll.
Sicherlich lassen sich weitere Szenarien durchdenken, welchen Verlauf der Ukraine-
Krieg noch nehmen kann. An dieser Stelle sei der Hoffnung Ausdruck gegeben,
dass der Krieg in der Ukraine so schnell wie möglich sein Ende findet, dass
er nicht weiter eskaliert; dass die Kräfte, die den Frieden wollen, nicht von denjenigen
Kräften, die andere Interessen verfolgen, die den Krieg für ihre eigenen
Zwecke instrumentalisieren wollen, übertrumpft werden.
Bayer AG-Aktie: Kaufen oder verkaufen?! Neue Bayer AG-Analyse vom 02. November liefert die Antwort:
Die neusten Bayer AG-Zahlen sprechen eine klare Sprache: Dringender Handlungsbedarf für Bayer AG-Aktionäre. Lohnt sich ein Einstieg oder sollten Sie lieber verkaufen? In der aktuellen Gratis-Analyse vom 02. November erfahren Sie was jetzt zu tun ist.