Wenn die führenden Zentralbanker der Federal Reserve Bank, der Bank of Japan oder der Europäischen Zentralbank zu ihren turnusmäßigen Sitzungen zusammenkommen, beginnt der Markt aufzuhorchen. Schon im Vorfeld halten sich Investoren und Trader mit ihren Entscheidungen zurück und es scheint ein wenig, als würde der Markt eine Art Schweigeminute einlegen.
In dieser kurzen Auszeit lauscht man weder nach innen, noch gedenkt oder ehrt man vorangegangene Ereignisse. Man will einfach nur nicht auf dem falschen Fuß erwischt werden und positioniert sich damit lieber untätig an der Seitenlinie als aktiv mitten im Zentrum des Geschehens.
Diese vornehme Zurückhaltung hat der Markt nicht immer an den Tag gelegt. Sie ist im Grunde erst das Produkt des 21. Jahrhunderts. Natürlich haben die Börsianer auch schon in früheren Zeiten auf die Entscheidungen der Notenbanken geachtet. Aber die fast kultartig inszenierten Pressekonferenzen, in denen Journalisten und Investoren gleichermaßen an den Lippen der Notenbankchefs hängen und ihre Worte wie Orakel interpretieren, sind neu. Es gab sie in dieser Form früher nicht.
Überhaupt werden die Märkte heute in einem weit stärkeren Maß von den Aussagen und Entscheidungen der Notenbanken gesteuert als in früheren Jahren. Es ist nicht allein das viele Geld aus dem Nichts, mit dem die Finanzmärkte seit Jahren geflutet werden, das die Börsen bewegt. Es sind auch die Einschätzungen zur Konjunktur, die Märkte steigen oder fallen lassen.
Verzicht auf eine eigene Meinung
Den Notenbanken wird inzwischen von vielen Marktteilnehmern unterstellt, dass sie die wirtschaftliche Zukunft besser und treffender einschätzen können als andere dies vermögen. Auch das war nicht immer so. Doch in der Vergangenheit haben viele Anleger die schmerzhafte Erfahrung gemacht, dass es besser ist, sich nicht gegen die Notenbanken und ihre Entscheidungen zu stellen.
Wir Menschen neigen manchmal zur Bequemlichkeit. Insofern ist es verständlich, aber nicht gut, dass, wenn wir schon nicht gegen die FED oder die EZB kämpfen wollen, wir uns die Dinge einfach machen und nur noch darauf achten, was Jerome Powell oder Mario Draghi vor Parlamenten, auf Kongressen und Pressekonferenzen von sich geben.
Das eigene Nachdenken über die konjunkturelle Lage von morgen wurde so im Laufe der Zeit zu einer Interpretationsübung. Nur, dass der Markt heute nicht mehr Gedichte von Goethe und Schiller interpretiert, sondern Notenbankstatements und darauf achtet, ob einzelne Passagen und Wörter immer noch in ihnen enthalten sind.
Es hat schon fast religiöse Züge, wenn der Markt so widerspruchslos und ergeben der von den Notenbanken vorgegebenen Einschätzung folgt. Auf lange Sicht kann diese Haltung den Finanzmärkten nicht gut tun, denn die Börse lebt wie die Demokratie vom Widerspruch. Wenn alle immer einer Meinung sind, ist dies faktisch das Ende des Handels, denn alle wollen immer zur gleichen Zeit kaufen und verkaufen, was, wie wir alle wissen, ohne die notwendige Gegenpartei aber schwierig ist.
Kollektiv auf dem Holzweg oder dem Weg ins Glück
Auch innerhalb der Notenbanken selbst ist diese zunehmende Aufgabe selbständigen Denken und Handelns zu beobachten. Zwar waren die amerikanische und britische Notenbank schon immer die Taktgeber, doch ein gewisses Maß an Selbständigkeit hat sich jede andere nationale Notenbank immer zu erhalten versucht.
Die Anleger sind auf die Notenbanken fixiert und die Zentralbanken selbst auf die amerikanische Notenbank. Weil niemand bereit ist, diesen in sich geschlossenen Kreislauf von Abhängigkeiten zu durchbrechen, ruht das wirtschaftliche Schicksal der Welt plötzlich nur noch auf ganz wenigen Schultern.
Mit klassischer Marktwirtschaft hat das nicht mehr viel zu tun. Es soll hier gar nichts anderes unterstellt werden, als dass alle Notenbanker dieser Welt bestrebt sind, ihren Auftrag nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen. Trotzdem: Sie sind und bleiben Menschen und werden damit früher oder später auch Fehler machen.
Die Gefahr ist nun, dass sich diese Fehler potenzieren, weil das in der Marktwirtschaft so wichtige Korrektiv fehlt. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel, die gewissermaßen die Bank der Notenbanken darstellt, mahnte nicht ohne Grund, dass es noch immer „Paradoxien und Spannungen im Überfluss“ gebe, obwohl die globale Konjunkturlage hervorragend sei.
Europäische Geldpolitik: Amerika wir folgen dir
Mit dem Wort „Spannungen“ kann nur gemeint sein, dass die Krise noch längst nicht als vollkommen überwunden angesehen werden kann und der Begriff der „Paradoxien“ ist eine vornehme Umschreibung dafür, dass auch die Notenbanken bei der Bewertung der aktuellen Situation und der ermittelten Daten teilweise im Nebel stochern und vorab nicht genau abschätzen können, wie sich einzelne Maßnahmen konkret auswirken werden.
Es ist vor diesem Hintergrund schwierig, die exakte Geld- und Zinspolitik der EZB vorhersagen zu wollen. Die bisherigen Aussagen der Zentralbank gehen dahin, dass die Zinsen noch bis Mitte 2019 auf einem heutigen Niveau von null Prozent bleiben und dann langsam ansteigen werden. Wenn sich die EZB nicht selbst Lügen strafen will, kann sie in näherer Zukunft keine Zinserhöhungen, schon gar keine schnellen ankündigen.
Sie wird also vermutlich mit Statements an die Öffentlichkeit treten, die im Kern aussagen sollen, dass sich ihre Geldpolitik nicht grundsätzlich verändern wird und versuchen nur kleine, vom Markt als unproblematisch angesehene Veränderungen vornehmen wollen.
Dennoch dürfte die Richtung klar sein. Wenn Mitte 2019 auch in Europa die Zeit der niedrigen und negativen Zinsen zu Ende geht, wird der Zinsabstand zu den USA bereits zwei Prozentpunkte betragen. Hebt die FED die Zinsen bis dahin sogar noch stärker an könnten es auch 2,5 bis drei Prozentpunkte werden.
Mehr Abstand kann die EZB kaum zulassen, es sei denn sie ist bereit, große Verwerfungen an den internationalen Zins- und Devisenmärkten zu akzeptieren.