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Bernd Heim
/ 24. Januar 2019
Was hat das US-amerikanische Handelsdefizit mit der Griechenlandrettung zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel und doch weisen beide Parallelen auf, die für unsere Zeit sehr charakteristisch sind. Ein Aushängeschild sind diese Besonderheiten unserer Zeit leider nicht. Deshalb ist es sinnvoll, dass wir alle uns mit ihnen auseinandersetzen, auch wenn sie uns im ersten Moment nicht persönlich zu betreffen scheinen.
Dass sich US-Präsident Donald Trump an der Höhe des amerikanischen Handelsdefizits stört, ist allgemein bekannt. Der Präsident reitet schon länger auf dieser Welle. Neu ist hingegen das Bemühen, das US-Handelsdefizit durch statistische Tricks noch größer ausfallen zu lassen, als es ohnehin schon ist.
Der Vorteil dieser neuen Berechnungsmethode wäre, dass der Präsident auf die Handelspartner der USA einen größeren politischen Druck ausüben könnte. Dieser könnte in anstehenden Verhandlungen durchaus hilfreich sein und innenpolitisch würden die dramatisierten Zahlen dem Präsidenten helfen, seine Forderung nach einer stärkeren Abschottung der USA zu legitimieren.
Wie das Wall Street Journal berichtete, sind Regierungsmitarbeiter darum gegeben worden, bei der Berechnung der Import- und Exportbilanzen die sogenannten Re-Exporte nicht mehr zu berücksichtigen. Die Konsequenz wäre ein auf dem Papier vergrößertes US-Handelsdefizit, während sich in der Realwirtschaft nichts ändern würde.
Die neuen Fakten haben sich nach unseren Wünschen zu richten
Als Re-Exporte werden alle jene Waren bezeichnet, die zunächst in ein Land eingeführt werden, später aber in andere Staaten weiterverkauft werden. Im Fall der USA sind das beispielsweise sehr oft Kanada oder Mexiko, die beiden anderen Staaten der nordamerikanischen Freihandelszone.
Bislang werden diese Waren sowohl in der Import- als auch in der Exportstatistik erfasst. Die neue US-Administration wünscht jedoch, dass sie zukünftig nur noch als Importe gezählt werden und die Weiterverkäufe in der Exportstatistik unberücksichtigt bleiben.
Mit anderen Worten: Kamen bislang 100 Autos aus Deutschland ins Land, von denen 30 kurze Zeit später nach Kanada weiterverkauft wurden, beliefen sich die Netto-Importe auf genau die 70 Fahrzeuge, die in den USA verkauft wurden. Nach der neuen Methodik sollen aber alle 100 Wagen als Importe gelten und die Weiterverkäufe vollkommen unberücksichtigt bleiben.
Zwar erklärten Regierungsvertreter schnell, dass noch keine Entscheidung zu diesem Thema getroffen sei, doch allein die Tatsache, dass man ernsthaft über eine Veränderung der Berechnungsmethoden nachdenkt, unterstreicht, dass es nicht mehr um Fakten und die aufrichtige Unterrichtung der eigenen Bevölkerung geht, sondern nur noch um die narrative Unterstützung eigenen Wunschdenkens.
Immer mehr gezielte Desinformation
Verlassen wir an dieser Stelle die großen Vereinigten Staaten und wenden uns dem kleinen Griechenland zu. Das Land steckt regelmäßig in schwierigen Verhandlungen mit seinen europäischen Partnern. Es geht wie üblich um viel Geld und weitere Finanzhilfen.
Am Ende wird Griechenland diese sicher bekommen. Es wird dafür weitere Reformen verabschieden müssen, die anschließend mehr oder weniger engagiert umgesetzt werden. Die Finanzwelt wird aufatmen, weil das kleine Land schon wieder gerettet werden konnte und die ihm in der Vergangenheit gewährten Kredite noch nicht völlig abgeschrieben werden müssen. Aber was ist wirklich gewonnen?
Die nächste Verhandlungsrunde ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Früher oder später wird sie kommen, ja kommen müssen, denn der eigentliche Grund, warum Griechenland immer wieder neu gerettet werden muss, wird nie thematisiert. Es gibt zu viele Banken, die über die von ihnen erworbenen Staatsanleihen zu stark in die Finanzierung des griechischen Staates engagiert sind.
Sie dürfen nicht pleitegehen dürfen, weil das Schockwellen durch das Finanzsystem senden würde, die sehr schnell auch andere Banken und andere Staaten massiv betreffen würden. Wer ehrlich ist, muss zugeben, dass die griechische Krise im Kleinen das Problem aller westlicher Staaten beinhaltet. Die Schulden sind viel zu hoch, und egal, wie sehr man sich auch anstrengt, sie werden nie mehr zurückgezahlt werden können. Alles andere ist und bleibt Wunschdenken.
Je näher der Abgrund, desto intensiver die Gespräche über das nahende Paradies
Schulden, die nicht zurückgezahlt werden können, sind aber auch Guthaben, die für die Gläubiger keinen realen Wert mehr haben. Ihnen müsste man fairerweise sagen, dass ihr Geld weg ist, und zwar unwiederbringlich weg ist. Diese Wahrheit will aber niemand offen aussprechen.
Also wird weiter getrickst und umgeschuldet, obwohl allen Beteiligten eigentlich längst klar ist, dass die Gelder, die in der Vergangenheit nach Griechenland geflossen sind, und auch jene, die in Zukunft noch dorthin fließen werden, im Grunde keine Kredite, sondern Transfers sind. Verschleiert wird diese unangenehme Wahrheit mit zahlreichen viel zu optimistischen Prognosen und teilweise offenkundigen Lügen.
An dieser Stelle treffen sich das amerikanische Handelsbilanzdefizit und die Rettung Griechenlands. In beiden Fällen sind strukturelle Reformen nötig. Aber weil sie harte Konsequenzen nach sich ziehen und schmerzhaft sind, vermeidet man sie und betrügt sich und die Welt lieber mit dem schönen Schein.
Wenn das Beispiel weiter Schule macht, werden wir vermutlich in einigen Jahren alle kollektiv in die Rathäuser stürmen und auf dem Einwohnermeldeamt unsere nicht geborenen Kinder anmelden. Anschließend gibt es reichlich Kindergeld für jeden und auch die chronische Unterfinanzierung der Rentenversicherung ist endlich vom Tisch, weil die Statistiker nach kurzer Zeit bemerken werden, dass die Bevölkerungspyramide wieder stimmt und kein Anlass zur Sorge mehr besteht.
Die Wirtschaft freut sich über die neuen Kunden ebenso wie über die qualifizierten Mitarbeiter und unsere hässliche kleine Welt ist endlich wieder so schön, wie wir sie alle haben möchten. Und da sage doch noch einmal jemand, das neue Zeithalter losgelöst von jedem Faktenbezug sei keine paradiesische Zeit.
Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen Handelstag und grüße Sie herzlich
Ihr
Bernd Heim
PS.:Was nichts kostet, ist nicht viel Wert? Wenn Sie nicht dieser Meinung sind und die heute besprochenen Gedanken auch Ihren Freunden und Bekannten vorstellen möchten, teilen Sie diesen Artikel bitte mit ihnen.