In den Vereinigten Staaten tut sich am Aktienmarkt eine Revolution auf. In Deutschland noch wenig beachtet, ist sie doch Ausdruck mehrerer nicht zu unterschätzender Trends. Wie viele Revolutionen beginnt sie unscheinbar und leise, man muss genau hinhören, um ihre Symptome wahrzunehmen.
Unsere Quellen werden heute ausnahmsweise nicht nur Bloomberg, EZB-Pressemeldungen, und Reuters sein. Der Gesamtablauf der Causa „GameStop“ ist nicht nachzuvollziehen, ohne sich in die Tiefen des Internets hinabzubegeben. Deshalb sei dem Autor verziehen, heute ausnahmsweise auch die Quellenlage aus verschiedenen sozialen Netzwerken darzulegen. Und wenn Sie der Meinung sind, das sei Ihresgleichen nicht angemessen, dann seien Sie gewarnt: Wer heute die Zeichen der Zeit verpasst, der versteht morgen die Welt nicht mehr. Auch am Aktienmarkt gilt: Gehen Sie mit der Zeit, oder Sie gehen mit der Zeit.
Wir erinnern uns an den Mai 2020: Der Autoverleiher Hertz meldet eine Chapter 11 Procedure (etwa ein deutsches Schutzschirmverfahren) an. Die Sanierung wäre ohnehin schon komplex genug verlaufen, schließlich sind die verschiedenen von Hertz vergebenen Bonds nicht Teil der Insolvenz, sondern auf die 700.000 von Hertz gehaltenen Fahrzeuge verbrieft[1]. Die Schulden über $19 Mrd sind großteils mit Fahrzeugen im Wert von $15 Mrd besichert: für eine Insolvenz eine überdurchschnittlich hohe Quote und durchaus ein Zeichen berechtigter Hoffnung für die Gläubiger von Hertz.
Diese Rechnung machte sich in kürzester Zeit auch in den sozialen Medien breit. Im Juni 2020 steigt die Aktie unerwartet um das Zehnfache von $0.56 auf $5.52. Carl Icahn war zu diesem Zeitpunkt bereits mit einem Verlust von $1.5 Mrd ausgestiegen. In Folge beantragt Hertz die Ausgabe von neuen Aktien, die SEC genehmigt den Vorgang. Eine Kapitalerhöhung auf der zehnfachen Bewertung wie noch eine Woche zuvor. Allzu nachhaltig war der Effekt nicht, die Aktie fiel im weiteren Verlauf wieder auf $2. Dieser spektakuläre Fall zeigte das erste Mal die Gestaltungsmacht von Retailinvestoren, die bisher nur in den seltensten Fällen am Aktienmarkt stattfand.
2016 geht die Firma GameStop aus Texas an die Börse. Sie ist zu diesem Zeitpunkt mit 6,081 Stores der weltweit größte Videospielverkäufer[2]. Das hier als Fußnote verlinkte „10-K Formular“ ist für den interessierten Leser in vielerlei Hinsicht relevant. GameStop analyisert bereits vor fünf Jahren selbstkritisch, dass man gegen “browser, mobile and social gaming” (ibid.) möglicherweise nicht wettbewerbsfähig sei.
War bei diesem Börsengang bis 2021 noch ein Wachstum auf 7,117 stores geplant (ibid.), sind es in der Realität im Februar 2020 dann doch nur noch 5,509 Stores[3]. 2019 war der Umsatz bereits um 26% zum Vorjahr gefallen. Die Firma unterstützt schon hier ihren Aktienkurs, indem sie für $199 Mio eigene Aktien kauft[4]. Die Kapitalherabsetzungen helfen nur bedingt. Doch es gibt Hoffnung: Wie viele Firmen mit fallenden Umsätzen und hervorragendem Management weist GameStop beständig Gewinne aus. $62 Mio operatives Einkommen, etwa $500 Mio an Barbeständen
und nur $419 Mio an langfristigen Verbindlichkeiten zeugen von Stabilität. Man transformiert beständig in digitale Sphären. Für einige Großanleger jedoch nicht schnell genug. Im Januar 2021 machen Gerüchte die Runde, GameStop werde von verschiedenen Fonds geshortet. 139% der verfügbaren Aktien werden laut der Analysefirma S3 Partners ausgeliehen und gleichzeitig am Markt verkauft[5]. Wenn der Kurs fällt, kann der Verkäufer sie später günstiger kaufen als er sie verkauft hat. GameStop ist seit 1984 eine Ikone der Videospielbranche. Seine Kunden sind vermutlich großteils männlich, videospielfixiert und eventuell mit ökonomischen Schwerpunkten in der IT-Branche.
Ihre bevorzugte, soziale Plattform ist Reddit.com. Zahllose Gerüchte, Trends, und auch soziale Diskussionen haben hier ihren Ursprung. Das Bild eines erwachsenen Nerds drängt sich auf. Doch dieser sollte nicht unterschätzt werden. Häufig gut ausgebildet und aus eben jener IT-Branche zumeist mit einem sicheren Einkommen gesegnet, fängt die Community an, die strauchelnde GameStop Aktie zu kaufen[6]. Der Kurs steigt von $20 am 11. Januar auf ein Hoch von $347 am 27. Januar. Die Leerverkaufspositionen der Fonds steigen auf ein Vielfaches des ursprünglichen Werts der Firma.
Es scheint ganz offenbar, als ob an der Börse das erste Mal neben Banken und Fonds ein weiterer relevanter Spieler hinzugestoßen ist: der private Kleinanleger, für den erst genannte eigentlich in Diensten stehen sollten. Savings & Loans Banken arbeiten mit den Einlagen ihrer Kunden, Investmentbanken mit denen ihrer wohlhabenden Kunden und Hedgefonds mit den denen ihrer sehr wohlhabenden Kunden. Alle gleich sollen sie als Intermediär für ihre Kunden Renditen erwirtschaften, ihre Dienste werden in Form von Gebühren und Provisionen bezahlt. Wird aber der Kunde zum Gegenspieler seines eigenen Dienstleisters, droht das System zu kippen. Wozu braucht es noch Investmentbanken, wenn Kunden ihre Gelder lieber selbst anlegen und dabei sogar gegen die Bank wetten?[7]
Das Spiel um GameStop hat verschiedene Spieler: Fonds, Soziale Netzwerke, Kleinanleger, Medien, und die Aktienhandels Apps dieser Anleger. Jeder wird sich im Folgenden für eine der beiden Seiten entscheiden. Große Fonds werden seit einer Woche nunmehr nicht müde, die Kleinanleger der Marktmanipulation zu bezichtigen. Sicher beeinflusst dadurch, dass Bankern ab ihrem Berufstag das ständig schwebende Damoklesschwert einer strafrechtlichen Verurteilung wegen Marktmanipulationen und Absprachen vorgehalten wird. Sprechen zwei Händler ihre Positionen über WhatsApp ab, führt das für beide schnell zum lebenslangen Entzug der Lizenz. Dass in Internetforen auf einmal tausende Händler sich offen zu einem Aktienkauf verabreden dürfen, erscheint hier paradox. Es ist zudem logisch:
Würde man durch Pressearbeit und politischen Druck eine Aufweichung der Kaufpositionen erwirken, würden sich diese Verluste nicht materialisieren. Facebook als soziales Netzwerk hat in einem sich in letzter Zeit wiederholenden Spiel als erstes mit Löschungen einer beliebten Diskussionsgruppe über Aktien geantwortet[8]. Doch den großen Trend am Aktienmarkt, dass Investoren Aktien kaufen, ohne bei ihrem Broker um Erlaubnis zu fragen, wird Mark Zuckerburg nicht alleine aufhalten können. Reddit folgt diesem Verhalten nicht, die Anlegerdiskussionen bleiben online.
Die Kleinanleger freuen sich derweil diebisch über ihre Erfolge und rufen bereits hektisch eine Wiederauflage der Occupy Wallstret-Proteste aus. Ist das die Revolution gegen das Großkapital, auf die man so lange gewartet hat? Die Großmedien schlagen sich recht einstimmig auf die Seite der Großanleger. Die unheilvolle Kombination aus Großkapital und einstimmiger Medienberichterstattung kommt nicht unerwartet. Eine Wendung gibt jedoch der neue Intermediär des kleinen Mannes: die Aktienhandels-Apps und Plattformen von Fidelity[9], Charles Schwab[10], Ameritrade[11], und auch die in den USA beliebte Robinhood App, stellen den Handel mit Aktien die GameStop und ähnlichen Firmen, zu deren Verkauf man sich digital verabredet hat, kurzzeitig ein[12].
Diese weitere Wendung sorgt für Unmut, wirken sie doch schließlich so, als seien nicht nur die Medien, Facebook und das Großkapital gegen den kleinen Mann losgezogen, sondern auch noch die Handelsplattformen, die angeblich in Konkurrenz zu Großanlegern stehen. Die Motivation von Robinhood kann nur vermutet werden. Die schnell geäußerten Vorwürfe über Marktmanipulation gegenüber den Kleinanlegern von Reddit haben es in sich. Würde eine US-Behörde sich dem anschließen, wäre Robinhood eventuell Mittäter. Doch wer hat den Markt manipuliert? Fonds, die gemeinschaftlich eine strauchelende Aktie shorten, oder Anleger, die ihr Erspartes in genau jene Aktie stecken? Robinhood hat vor der Beantwortung dieser Frage nicht zu Unrecht Sorge. Denn Marktmanipulator ist schließlich nicht der, der den Markt manipuliert, sondern der, der für Marktmanipulation von einem Gericht verurteilt wird.
Man mag als dies belächeln wollen. In Europa ist man schnell dabei, frühe Trends aus den USA als Spinnereien abzutun. Die ontologische Dimension dahinter ist aber gewaltig und wird früher oder später auch ihr Anwendungsbeispiel auf dem alten Kontinent finden. Aktien werden immer mehr zum Spiel von Kleinanlegern werden, die aus Bauchgefühl und Leidenschaft investieren. Der Fall „GameStop“ wird diese Woche in eine weitere Runde gehen, weitere Spieler werden sich positionieren. Und die Aktie ganz sicher weiter hoch volatil bleiben. Auf wen wetten Sie? Das Großkapital, oder den einfachen Mann?
1 https://www.forbes.com/sites/greatspeculations/2020/06/10/why-is-hertz-stock-up-3x
2 https://www.sec.gov/Archives/edgar/data/1326380/000132638016000320/a10k-fy15q4.htm
3 https://www.sec.gov/ix?doc=%2FArchives%2Fedgar%2Fdata%2F1326380%2F000132638020000022%2Fa10k-fy19q4.htm
4 https://news.gamestop.com/news-releases/news-release-details/gamestop-reports-fourth-quarter-and-fiscal-2019-results-ahead
5 https://twitter.com/S3Partners/status/1354490875498422273
6 https://www.reddit.com/r/wallstreetbets/
7 Dem Autor ist sehr wohl bewusst, dass Investmentbanken ihr Geld ohnehin lieber mit M&A Aktivitäten und jeder Art von Beratung verdienen. Vielleicht ist das auf Dauer auch das erfolgreichere Kerngeschäftsmodell?
8 https://www.reuters.com/article/us-retail-trading-facebook-idUSKBN29X34P
9 https://twitter.com/Fidelity/status/1230211910093635588
10 https://twitter.com/charlesschwab/status/1325816689729089537
11 https://twitter.com/TDAmeritrade/status/1354447688205443076
12 https://www.cnbc.com/2021/01/28/robinhood-interactive-brokers-restrict-trading-in-gamestop-s.html
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