Liebe Leser,
nein, die Rede ist nicht von Bitcoin und anderen Kryptowährungen, auch nicht von den überhitzten Aktienmärkten. Ein großes Verbrechersyndikat habe ich auch nicht im Sinn, sondern ein Gewerbe bzw. eine Anlageklasse, die gemeinhin aus ausgesprochen solide und wertbeständig gilt: die Immobilien.
„Was denn, ausgerechnet unser Betongold soll ein gigantisches Schneeballsystem sein?“, wird sich jetzt vermutlich der eine oder andere Leser fragen und dabei an harte Steine und Beton denken, vielleicht auch ein wenig an Holz, denn aus denen bestehen nun einmal die meisten Immobilien. Man kann sie anfassen, sie sind real und damit auf den ersten Blick das komplette Gegenteil von dem, was wir gemeinhin mit einem Schneeballsystem verbinden.
Ein Ponzi-System besteht in der Regel zum größten Teil aus heißer Luft. Es gibt eine Idee, die viele begeistert, weil sie glauben, ohne Risiko Geld verdienen zu können. Der Traum lässt sie investieren und dabei Warnungen und Gefahren ignorieren. Am Anfang gibt es auch die versprochenen Auszahlungen. Aber nur solange die Neuinvestoren den Altinvestoren gegenüber in der Mehrzahl sind.
Danach bricht das System und am Ende bleibt neben der allgemeinen Ernüchterung nur ein großer Scherbenhaufen. Die Details der verschiedenen Schneeballsysteme mögen sich unterscheiden, ihre wesentlichen Elemente sind aber immer die gleichen. Sie ändern sich nicht und sie sind auch am Immobilienmarkt zu beobachten.
Die Kluft zwischen Traum und Realität
Die beiden wichtigsten Komponenten sind ein berauschender Traum und das harte Faktum, dass dieser nur so lange Bestand hat, wie frisches Geld in dieses System eingezahlt wird. Danach beginnt die harte Realität und mit ihr die Aufräumarbeiten. Ein Ponzi-System steht und fällt also mit dem Traum, der es befeuert. Je allgemeiner und stärker dieser Traum ist, umso größer wird das System und umso länger hat es auch Bestand.
An dieser Stelle hat das Immobilienschneeballsystem gute Karten, denn seine Basis ist ein allgemein gehegter Traum. Streng genommen sind es sogar zwei Träume, die sich zu einem gemeinsamen verbinden: der Traum von den eigenen vier Wänden und der Wunsch, nicht nur reich zu werden, sondern diesen Reichtum auch zu bewahren. An dieser Stelle kommen die Immobilien quasi von ganz alleine ins Spiel, denn solide errichtet, scheinen sie fast für die Ewigkeit gebaut zu sein.
Nun fehlt noch der Katalysator, jener Brandbeschleuniger, der aus einem harmlosen Feuer einen Flächenbrand macht. Ihn gibt es seit ungefähr zehn Jahren in Form der niedrigen Zinsen. Sie ermöglichen nicht nur die Aufnahme höherer Kredite, sondern sie entwerten auch die Sparanlagen und Pensionsplane der Bevölkerung. Nicht alle reagieren auf diese Gefahr unverzüglich, doch mit der Zeit ist eine immer stärker werdende Verlagerung des Volksvermögens in jene Anlageklassen zu beobachten, die gemeinhin als sicher und beständig gelten.
Schaut man auf die aktuellen Zahlen, so sind hier in erster Linie die Immobilien zu nennen. Ihre Preise steigen weltweit. Die Aktienkurse steigen zwar auch, aber die Zahl der Aktionäre erhöht sich nicht im gleichen Maß. Aktienkurse schwanken und werden deshalb von vielen Anlegern als kritisch angesehen. Von den Immobilien sagen hingegen inzwischen die meisten Deutschen, dass ihre Preise auf lange Sicht nur steigen könnten.
Das Perpetuum mobile des immerwährenden Reichtums?
In anderen Ländern werden ähnlich blauäugige Gedanken gehegt. Deshalb steigen die Immobilienpreise nicht nur bei uns in Deutschland. Gemessen an den Preisexzessen, die anderswo zu beobachten sind, sind die Immobilien hierzulande sogar noch richtig preiswert.
Das System läuft also und es läuft sehr gut. Wenn man genau hinsieht, erkennt man sogar, dass Haus- und Wohnungsverkäufe in vielen Ländern das Einzige sind, was die Volkswirtschaften wachsen lässt. Ein starker Rückgang der Immobilienpreise würde nicht nur die Bauwirtschaft empfindlich treffen, denn der hier „gespeicherte“ Reichtum wirkt sich auf alle anderen Sektoren des Wirtschaftslebens ebenso aus.
Diese Erkenntnis führt zwangsläufig zu der Frage, wie das Spiel noch weiter laufen soll, wenn die Zinsen nicht mehr wie bislang gewohnt fallen, sondern steigen werden. Das werden sie über kurz oder lang tun. Schon der Beginn dieser Bewegung hat das Potential, das Ponzi-System empfindlich zu treffen und zu destabilisieren.
Der Anfang dieser Bewegung sind noch nicht einmal moderat steigende Zinsen, sondern bereits nicht mehr weiter fallende Zinsen. Zinsen, die nicht mehr weiter fallen, werden anders als bisher keine neuen Käufer in den Markt locken. Für jedes Schneeballsystem ist dies ein gefährlicher Moment, denn der so wichtige Zufluss an frischem Geld wird empfindlich gestört.
Eine global tickende Zeitbombe
Die niedrigen Zinsen wurden nicht geschaffen, um mehr Menschen den Besitz von Wohneigentum zu ermöglichen, sondern um Banken zu retten. Die niedrigen Zinsen erzeugen eine Illusion von Reichtum und bewegen die Menschen dazu, ein Zuhause zu finden, von dem sie vor Kurzem noch nicht zu träumen gewagt hätten, das nun aber in ihr „Budget“ zu passen scheint.
Sie ergreifen die Chance und nehmen immer größere Hypotheken auf. Damit tun sie das Entscheidende: Sie halten strauchelnde Banken davon ab, umzufallen. Mit den Banken wird auch der Rest der Volkswirtschaften künstlich am Leben gehalten. Sie haben richtig gelesen: Das Überleben ganzer Volkswirtschaften hängt heute von der Existenz von Immobilienblasen ab. Ein Ende der Blase bedeutet ein Ende der Geldschöpfung und das bedeutet keine funktionierende Wirtschaft mehr zu haben.
Ein gutes Beispiel ist China. Wird hier nicht mehr in den Bau neuer Wohnungen oder vom Staat in den Ausbau der Infrastruktur investiert, weist das Bruttoinlandsprodukt sofort empfindliche Bremsspuren auf. Dabei ist der Leerstand in den großen Metropolen heute schon beachtlich und die einfachen Chinesen müssen Jahr für Jahr, wenn ihre Mietverträge auslaufen, ein Stück weiter an den Stadtrand ziehen, um ihre Mieten noch bezahlen zu können.
In Neuseeland und Australien ist es nicht viel anders. Auch hier sind in den letzten Jahren die Immobilienpreise stark angestiegen. Seit der Jahrtausendwende haben sie sich verdoppelt. Allgemein hört man, dass die Blase nun Geschichte sein soll. Doch die Preise steigen noch immer und der durchschnittliche Neuseeländer kann sich den Kauf einer Immobilie in den großen Zentren längst nicht mehr leisten.
Wehe, wenn die Zinsen steigen
Dieses Phänomen findet man nicht nur in Asien und Ozeanien. Auch in Europa und in den USA kann sich der durchschnittliche Bürger heute deutlich weniger Wohneigentum leisten als noch vor zehn oder zwanzig Jahren, denn die Immobilienpreise sind viel schneller gestiegen als die Einkommen. Man muss also bereits Geld haben, um sich noch eine Immobilie leisten zu können.
Das führt zu einem zweiten Punkt, der ebenfalls wichtig ist, weil er auf das Scheitern des Ponzi-Systems verweist. Der Anteil der Erstkäufer, also jener Menschen, die zum ersten Mal eine Immobilie erwerben, um selber darin zu wohnen, nimmt beständig ab. Will heißen, die meisten Immobilienkäufer brauchen gar keine neue Immobilie. Die Nachfrage ist also stärker spekulativer Natur als uns allen lieb sein kann.
Haushalte, die sich immer weniger Immobilieneigentum leisten können und Zinsen, die langsam aber sicher steigen, sind eine gefährliche Mischung. Sie bedrohen in erster Linie die kreditgebenden Banken. Von denen wissen wir aber spätestens seit der Finanzkrise, dass sie die ganze Wirtschaftswelt mit in den Abgrund reißen werden, sollten sie fallen.
Keine guten Aussichten, wie ich finde. Wenn Sie nun noch bedenken, dass zum Verkauf stehende Häuser und Wohnungen in den USA kaum noch lange auf dem Markt sind, wird schnell deutlich, wie überhitzt der Immobilienmarkt und damit wie weit fortgeschritten die Blase bereits ist. Die National Association of Realtors berichtete vor Kurzem, dass ein typisches US-Haus nur noch drei Wochen auf dem Markt ist. Ein Jahr zuvor im Juni 2016 lag der Zeitraum noch bei vier Wochen und 2012 dauerte es sogar im Durchschnitt elf Wochen, bis ein zum Verkauf stehendes Haus einen neuen Käufer gefunden hatte.
Ein Tsunami der Extraklasse
Egal, in welches Land sie schauen, Häuser und Wohnungen waren gemessen am verfügbaren Einkommen für den Durchschnittsbürger noch nie so unerschwinglich wie heute. Trotzdem vollziehen sich die Hausverkäufe in einem atemberaubenden Tempo. Dass dieser Wahnsinn auf Dauer gut gehen soll, kann ich mir nur schwer vorstellen.
Wohl aber was passiert, wenn die Menschen aus ihren Träumen gerissen werden. In den USA ist etwa ein Viertel des Haushaltsvermögens im Wohnungsbau gebunden, in China sind es drei Viertel. Die Sprengkraft dieses gigantischen Schneeballsystems ist nicht nur finanzieller Art. Sie vermag auch Staaten, Staatenbünde und Gesellschaften zu zerstören.