Für den kurzfristig orientierten Trader ist der Stopp die Reißleine, die immer dann gezogen wird, wenn sich die Kurse in falsche Richtung entwickeln. Je nach gewähltem Handelsansatz und praktizierter Strategie wird man sehr oft ausgestoppt, einfach auch deshalb, weil man aggressiver vorgeht als ein langfristig agierender Investor und schnell wieder den Neueinstieg versucht.
Für den Langfristinvestor ist das Thema Stopps ein ganz anderes. Ein ausgelöster Stopp wird hier oftmals nicht als eine notwendige Lebensversicherung an der Börse gesehen, sondern leicht als Chancenkiller wahrgenommen, der immer dann zuschlägt, wenn die Aktie kurz vor der Ausbildung eines Bodens steht und wenig später dreht.
Sehr oft werden sich diese Investoren über die ausgelösten Stopps furchtbar geärgert haben. Dies umso mehr, wenn die Aktie oder auch der Gesamtmarkt in einer Rallye steckt, die nicht nur über einen langen Zeitraum anhält, sondern auch von Korrekturen gekennzeichnet ist, die im Fall der Fälle schnell wieder aufgeholt werden.
Weil diese Korrekturen sich in der Rückschau nicht als gute Verkaufsgelegenheiten, sondern als ideale Zeitpunkte zum Nach- oder Neukauf herausstellen, kann man gerade am Ende von langen Börsenzyklen leicht auf den Gedanken kommen, dass man als Investor im Grunde in einer Korrektur niemals verkaufen sollte, weil die Aktien schnell wieder das ursprüngliche Niveau erreichen werden.
Macht die Gewöhnung uns blind für die lauernden Gefahren?
In einer solchen Phase befinden wir uns momentan. Seit 2009 sind die Aktienmärkte sehr stark gestiegen. In den Jahren 2011 und 2015 waren zwar zwei größere Phasen mit fallenden Kursen zu verzeichnen, doch wer in dieser Zeit verkauft hat, oder seine Aktienengagements per Stopp-Loss-Auftrag aufgelöst hat, der stand hinterher vor der schwierigen Frage, wann und zu welchem Kurs er wieder günstig einsteigen könnte.
Sind Aktienverkäufe vor diesem Hintergrund wirklich empfehlenswert, wenn wir einmal davon ausgehen, dass unser Investor eine gewisse Zeit benötigen wird, um sicher zu erkennen, dass er sich in einer größeren Korrektur befindet? Ihm wird es deshalb nicht möglich sein, auf dem Hoch oder nahe demselben zu verkaufen. Sein Verkauf erfolgt wesentlich später und damit zu deutlich tieferen Kursen.
Viele Banken und Broker greifen in ihren Prospekten gerne auf Charts zurück, die einen recht stabilen Aufwärtstrend aufweisen. Interessanterweise beginnt der Chart oft kurz nach dem Ende einer einschneidenden Korrektur. Die Auswahl solcher Charts ist verständlich, nehmen sie dem Kunden doch einen Teil seiner Verlustängste, weil sie suggerieren, dass die während der Haltedauer eintretenden Verluste vergleichsweise harmlos seien.
Aber ist dem wirklich so? Nun, wer sich einen ganz langen Chart vor Augen führt – und zehn oder fünfzehn Jahre sind an dieser Stelle keine lange Zeit -, der wird immer wieder Einbrüche sehen, die nicht nur durch ihre Steilheit an tiefe Täler erinnern, sondern die auch über mehrere Jahre Bestand hatten und an den Nerven der damals engagierten Anleger nagten.
Die Inflation nicht vergessen
Der vorletzte größere Einschnitt dieser Art waren die 1970er Jahre. Über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren bewegte sich der Dow Jones unter Schwankungen nur seitwärts. Investoren, die Ende der 1960er Jahre den Dow erstmals auf 1.000 Punkte hatten steigen sehen und nicht verkauften, sahen die Kurse bis 1974 auf unter 600 Punkte zurückgehen.
Das eigene Depot hatte sich fast halbiert, während die Konsumentenpreise sprunghaft stiegen. Zum nominalen Verlust des Depots kam der Kaufkraftverlust. Wer im Jahr 1969 ein Depot von 20.000 US-Dollar sein Eigen nannte, der musste bis weit in die 1980er Jahre warten und den Gegenwert seiner Aktien auf 30.000 Dollar oder mehr steigen sehen, nur um die gleiche Kaufkraft zu erhalten wie zu Beginn der Korrektur.
Und die 1970er Jahre waren an dieser Stelle keine Ausnahme, sondern eher die Regel. Die vier größten Einbrüche des US-Markts dauerten alle nicht nur wenige Monate oder Jahre, sondern jeweils mehr als eine Dekade. Die Inflation war deshalb immer ein Thema, auch dann, wenn sie nicht so extrem war wie in den 1970er Jahren.
1906 crashten der Dow Jones und der S&P 500 Index zum ersten Mal und die Anleger benötigten 20 Jahre, um inflationsbereinigt wieder auf den Stand vor dem Crash zu kommen. Bedingt durch den Ersten Weltkrieg waren diese Jahre auch in den USA eine Zeit, die von hohen Inflationsraten gekennzeichnet war.
In der Depression geht die Aufholjagd schneller
Als der Markt im Zuge der Weltwirtschaftskrise erneut kollabierte, half die Deflation den Anlegern schneller wieder auf die Beine zu kommen. Das sollte man zumindest meinen bei Inflationsraten von -10,3 Prozent in den Jahren der Großen Depression. Doch auch hier trügt der Schein.
Weil Dow Jones und S&P 500 extrem stark gefallen waren, dauerte es bis zum Jahr 1955, bis das Vorkrisenniveau inflationsbereinigt wieder erreicht war. Die 1930er Jahre waren sehr inflationsarm, doch am Ende spielte der Kaufkraftverlust dennoch eine große Rolle, weil sich das Leben während und nach dem Zweiten Weltkrieg spürbar verteuert hatte.
Die 1970er Jahre sind schon zur Sprache gekommen. Zu ergänzen ist allerdings noch, dass Anleger bis 1987 warten mussten, bis das Vorkrisenniveau erreicht war. Der Grund hierfür lag in den hohen Inflationsraten jener Zeit, die allein im Zeitraum von 1973 bis 1987 in den USA stolze 104 Prozent betrugen.
Die Nullerjahre nach dem Jahrtausendwechsel waren vergleichsweise inflationsarm. Dennoch dauerte es 14,5 Jahre, bis der S&P 500 im Jahr 2015 inflationsbereinigt, seine Kaufkraft aus der New Economy-Zeit wieder erreicht hatte.
Wann der nächsten Crash kommen und wie lange er dauern wird, steht noch in den Sternen. Manche Anleger agieren, als wäre dank dem vielen Notenbankgeld niemals mehr ein neuer Crash zu erwarten. Sollte er wider Erwarten doch kommen und ähnlich tiefgehend und ebenso langanhaltend sein wie seine Vorgänger, so macht es Sinn, in dieser Zeit nicht im Rahmen einer Buy-and-hold-Strategie stur investiert zu sein.