Liebe Leser,
mehr, immer mehr und noch mal mehr: Jahrelang war das die ultimative Devise von Amazon bei der Rekrutierung. Kein Wunder, hatte die Corona-Pandemie den ohnehin boomenden Online-Handel doch massiv beflügelt. Schauen Sie: Allein in den Jahren 2020 und 2021 verdoppelte Amazon seine Mitarbeiterzahl insgesamt auf mehr als 1,6 Millionen Menschen.
Das Geschäft boomte während des Stay-at-Home-Trends, die Logistikzentren florierten und die Auslieferungszahlen schossen durch die Decke. Doch diese Zeiten scheinen nun erst einmal vorüber zu sein. Bereits zum Ende des zweiten Quartals strich der Konzern seine Belegschaft zusammen – zum ersten Mal überhaupt in dieser Größenordnung.
Amazon gibt Einstellungsstopp bekannt
Nun, nach Veröffentlichung der desaströsen Q3-Zahlen, macht Amazon Nägel mit Köpfen. Demnach will der E-Commerce-Gigant vorerst keine weiteren Mitarbeiter einstellen. Experten rechnen damit, dass die Entlassungen gleichzeitig weitergehen. Entsprechend dürfte die Belegschaft bis zum Ende des Jahres weiter schrumpfen.
In einem Firmenblog begründete Amazon-Managerin Beth Galetti den Einstellungsstopp mit der ungewissen konjunkturellen Lage. Galetti spielte damit auf die Konsumzurückhaltung bei vielen Verbrauchern infolge der grassierenden Inflation und auf die drohende Rezession an.
Angst vor strauchelndem Weihnachtsgeschäft
Bemerkenswert ist das Ganze schon. Denn, eigentlich steht Amazons E-Commerce-Sparte jetzt die wichtigste Zeit des Jahres bevor: angefangen bei den Rabattevents Black Friday und Cyber Monday Ende November bis hin zum klassischen Weihnachtsgeschäft im Dezember.
Normalerweise generiert Amazon im Schlussquartal extrem hohe Wachstumszahlen. Doch dieses Jahr soll alles anders sein, wie der Konzern kürzlich im Rahmen der Q3-Präsentation einräumen musste. Demnach erwartet das Unternehmen für das vierte Quartal Umsätze zwischen 140 und 148 Milliarden Dollar. Das sieht auf den ersten Blick zwar nach viel aus – im Vergleich zum Vorjahr könnte das prozentuale Wachstum allerdings tief einstellig bleiben.
Amazon-Aktie wird abgestraft
Da die Börse an Konzerne wie Amazon exorbitant hohe Erwartungen stellt, krachte der Aktienkurs nach Bekanntgabe der Q4-Prognose (27. Oktober) in sich zusammen, wie Sie dem folgenden Chart entnehmen können:
In den Tagen darauf werte das Papier weiter ab – unter anderem auch wegen des angekündigten Einstellungsstopps. Inzwischen ist die Amazon-Aktie an der Börse „nur noch“ 935 Milliarden Dollar wert. Zum ersten Mal seit Beginn des Corona-Boosts im April 2020 liegt die Marktkapitalisierung damit unter der 1-Billion-Dollar-Marke (Stand: 04.11.2024, 14:00 Uhr).
Hohe Unsicherheiten beim Profit
Dabei sorgte nicht nur die Umsatzprognose zuletzt für Enttäuschung an der Börse. Auch beim Profit zeigte sich der Mega-Konzern alles andere als optimistisch. So erwartet man für die drei Monate bis Ende Dezember ein Ergebnis zwischen 0 und 4,0 Milliarden Dollar. Das ist eine extrem breite Spanne, die verdeutlicht, wie ungewiss Amazon in die nahe Zukunft blickt.
Im dritten Quartal musste man bereits einen Profitschwund hinnehmen. So verdiente man zwischen Juli und Ende September 2,9 Milliarden Dollar und damit gut 9 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Der Umsatz legte in Q3 zwar um 15 Prozent zu. Analysten hatten allerdings mit wesentlich mehr gerechnet.
Ungewöhnlich: Cloud-Sparte AWS tritt auf die Bremse
Und selbst das Cloud-Geschäft sorgt nun für Kopfzerbrechen. Dieses ist eigentlich seit Jahren der Wachstumsmotor schlechthin von Amazon. Analysten hatten zwar mit Einschnitten im Online-Handel gerechnet, der Cloud-Sparte AWS aber weiterhin ein hohes Wachstum zugetraut. Im dritten Quartal legte der Umsatz rund um die Datenwolke gegenüber Q2 hingegen nur um 4 Prozent auf 20,5 Milliarden Dollar zu. Das ist für AWS-Verhältnisse ein Desaster.
Besonders bitter: Amazon braucht AWS dringend zur Margen-Generierung. Die Sparte ist hochprofitabel und kann traditionell wesentlich mehr Gewinn aus dem Umsatz herausholen als das E-Commerce-Geschäft. Beobachter sehen das schmale Wachstum der Cloud-Sparte nun als mögliches Zeichen, dass Firmenkunden wegen der Inflation ihre Investitionen in die Digitalisierung zurückschrauben könnten.
Amazon würde somit nicht nur im Online-Handel von der Krise beeinträchtigt werden, sondern auch im eigentlich als Wachstumsgarant geltenden Cloud-Business.
Meine Meinung: Amazon-Aktie bleibt langfristig interessant
Kein Wunder also, dass viele Analysten ihre Kursziele für die Amazon-Aktie zuletzt gesenkt hatten, wenngleich die Ziele im Schnitt immer noch höher liegen als der aktuell schwer strauchelnde Kurs. Abschreiben sollte man die Aktie meiner Meinung nach auf jeden Fall nicht.
Denn: Amazon ist eine der weltweit wertvollsten und bekanntesten Marken. Viele Millionen Menschen nutzen die E-Commerce-Plattform der Amerikaner regelmäßig oder sind etwa als Händler davon abhängig. Gleichzeitig ist die Cloud-Sparte AWS einer der weltweit wichtigsten Digitalisierer.
Diese Vormachtstellung kann der Konzern nutzen, um früher oder später wieder mit voller Kraft auf Kurs zu kommen. Lediglich das Wann ist mit Blick auf die fragile Weltlage die große Frage. Mit ausreichend Geduld und einem langfristigen Anlagehorizont ist die aktuell relativ günstige Aktie somit durchaus interessant.
Redaktionsschluss: 04.11.2024, 14:00 Uhr.
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